Little Brother - Homeland: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)
und verbrachten die Fahrt in unangenehmem Schweigen. Das bedrückende Gefühl, von allen Seiten beobachtet zu werden, ließ mich nicht los.
Als wir die Mission Street erreichten, meinte Liam: »Ich fass es einfach nicht, wie viele Leute da waren.«
»Stimmt.«
»Als ob erst niemand wollte, solange sonst niemand kam, und als dann endlich jemand da war, kamen alle anderen auch.«
Die Frage, die unausgesprochen zwischen uns in der Luft hing, lautete: »Wieso sind wir dann nicht mehr dort?«
Den Rest des Tages verbrachte ich an meinem Schreibtisch. Zwischendrin warf ich immer wieder einen Blick auf die Feeds und Streams und Tweets der Riesendemo. Laut Sukey entkamen zwar immer noch vereinzelte Demonstranten dem Kessel, trotzdem kamen den Luftbildern nach wie vor Leute hinzu. Die Bilder wirkten wie die eines gigantischen Rockkonzerts. Ange schickte mir nach der Uni eine SMS : Sie sei unterwegs zu einer der kleineren Demos. Diese Ableger der großen Demo hatten sich abseits des Kessels gebildet und führten damit den ganzen Polizeieinsatz ad absurdum. Später fand ich heraus, dass Jolu, Darryl und Van unabhängig voneinander ebenfalls alle vor Ort gewesen waren. Ich aber ging nicht wieder hin. Kurz bevor ich ins Bett fiel, schaute ich noch mal aufs Handy und sah, dass der Kessel mittlerweile aufgelöst worden war und die meisten Demonstranten nach Hause gegangen waren – bis auf die gut 600, die man ins Gefängnis gesteckt hatte, und die paar Dutzend, die im Krankenhaus gelandet waren. Dann schlief ich ein.
12
Am nächsten Morgen wachte ich noch vor dem Wecker auf, und beim Gedanken daran, was ich alles zu tun hatte, geriet ich in leichte Panik. Ich sprang aus dem Bett und ins Bad, zog mir danach ein T-S hirt über, das (gerade noch so) den Schnüffeltest bestand, und kam zu dem Schluss, dass ich noch einmal mit den Socken von gestern durchkommen würde. Gerade wollte ich mir etwas Müsli in den Hals schütten, als ich die Zeitung bemerkte, die Mom mir auf den Küchentisch gelegt hatte, so dick wie eine Hotelzimmerbibel: die Dienstagsausgabe des San Francisco Chronicle. Ich vergaß zu schlucken und ließ mich auf den Stuhl plumpsen. Dienstag – der Tag, den ich mir freigenommen hatte. All das Schnell-raus-und-los-Adrenalin wich mit einem fast hörbaren Whusch aus meinen Venen.
Fünf Minuten später saß ich noch immer da und fragte mich, was ich mit meinem freien Tag anstellen sollte. Ich beschloss, einen tollen Brunch für Mom und Dad zu machen, mit richtigem Kaffee aus meiner kleinen AeroPress, nicht mit der Brühe, die sie sonst immer tranken. Dann konnte ich gemütlich duschen, mein Zimmer aufräumen, einen Schwung Wäsche machen und vielleicht mal Richtung Noisebridge wandern, um Geheimprojekt X-1 abzustauben, damit ich es vielleicht bis zum nächsten Burning Man am Start hatte.
Zur Abwechslung war das mal der beste Gedanke, den ich hätte haben können. Ich machte ein paar irre Pfannkuchenskulpturen (ich kriege einen ziemlich coolen AT-AT hin), und der Kaffee war »hervorragend« (wörtliches Zitat von Mom). Meine Eltern waren von meinem Aufräumwillen beeindruckt, und als ich schließlich Schleicher in meinen Rucksack packte und mich auf mein Rad schwang, hatte ich fast ein wenig von der Normalität, die ich vermisst hatte, wiedergefunden.
Um halb elf Uhr morgens war noch nicht allzu viel los im Noisebridge. Ich ging an mein Regal und schnappte mir meine Kiste, dann breitete ich die Einzelteile meines Druckers auf einer Werkbank aus. Einen Tisch weiter brachte ein kahlköpfiges Mädchen ihrer kleinen Schwester gerade das Löten bei. Kleine Wölkchen Playastaub stiegen von meinen Trümmern auf, und so machte ich mich mit weichen Tüchern und einer Dose Druckluft an die Reinigung. Bald geriet ich in einen guten Arbeitsfluss, der nur von gelegentlichen Club-Mate-Pausen unterbrochen wurde. Das war ein süßes, koffeinhaltiges Erfrischungsgetränk aus Deutschland – das quasi-offizielle Getränk in Hackerspaces auf der ganzen Welt, ein richtiger Raketentreibstoff.
Danach überprüfte ich mit einem Multimeter die Stromkreise, angefangen bei der Stromversorgung und dann Schritt für Schritt durchs ganze Gerät. Etwa auf halbem Weg glaubte ich den Fehler gefunden zu haben: Ein Schrittmotor war falsch montiert. Also nahm ich Schleicher zur Hand und machte mich auf die Suche nach einem Diagramm, um meinen Verdacht zu bestätigen. Mann, wenn es wirklich nur daran lag, komm ich mir echt wie der letzte Depp
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