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Little Miss Undercover - Ein Familienroman

Little Miss Undercover - Ein Familienroman

Titel: Little Miss Undercover - Ein Familienroman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Lutz
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rein«, protestierte ich.
    »Warum nicht?«
    »Ich bin kein Mann, David.«
    »Zurzeit ist nicht mal klar, ob du überhaupt ein Mensch bist«, war seine raffinierte Antwort, als er mich hineinzerrte. Vor dem Urinal stand ein Anzugträger, der die letzten Sätze hörte, während er sein Geschäft verrichtete.
    David wandte sich an den Anzugträger, der nun seinen Reißverschluss zumachte. »Tut mir leid, dass wir so reinplatzen, Mark. Aber ich muss meiner dreiundzwanzigjährigen Schwester zeigen, wie man sich das Gesicht wäscht.«
    Mit einem etwas gezwungenen Lächeln verließ Mark den Waschraum. David legte mir die Hände auf beide Schultern und drehte mich zum Spiegel.
    »Wie man auf keinen Fall zu einem geschäftlichen Termin erscheinen darf.«
    Als ich endlich den Mut aufbrachte, meinem Spiegelbild ins Auge zu blicken, sah ich, dass meine Wimperntusche auf Nasenhöhe verrutscht war, während mein strähniges, wirres Haar sich auf einer Seite zu einem Knäuel verstrubbelt hatte. Mein Hemd hatte ich falsch geknöpft, und es sah aus, als hätte ich darin geschlafen. Hatte ich auch. Und dann fehlte da noch dieser eine Schuh.
    »Wasch dich ein bisschen, ich bin gleich wieder da«, sagte David.
    Ich bestand nicht etwa darauf, auf die Damentoilette wechseln zu dürfen, sondern blieb brav, wo ich war, und befolgte seine Anweisung. Nachdem ich mir das ganze Make-up samt restlichem Dreck vom Gesicht geschrubbt und einen halben Liter Wasser direkt aus dem Hahn getrunken hatte, zog ich mich in eine der Kabinen zurück, um Davids Kollegen nicht noch mal in die Quere zu kommen. Mindestens zwei Männer betraten die Herrentoilette und urinierten, während ich auf die Rückkehr meines Bruders wartete. Bald träumte ich, dass er weich werden und mir eine eiskalte Cola mitbringen würde.
    »Mach auf«, rief David und hämmerte an die Kabinentür. Seinem Ton und dem ungehaltenen Klopfen nach zu schließen, hatte er keine Cola dabei. Als ich die Tür öffnete, reichte er mir ein frisch gestärktes Oxford-Hemd in mittlerer Größe sowie einen Deostift für besondere Härtefälle.
    »Trag das auf. Zieh das an«, sagte er. »Beeil dich. Mulberg wartet in meinem Büro.«
    Beim Verlassen der Kabine sah ich auf dem Boden ein Paar Sandaletten.
    »Größe siebenunddreißig, richtig?«, fragte David.
    »Nein. Neununddreißig.«
    »Da lag ich doch gar nicht so falsch.«
    »Wo hast du die her?«
    »Von meiner Sekretärin.«
    »Wenn du Frauen schon so gekonnt dazu bringst, ihre Kleider für dich abzulegen, könntest du mir vielleicht auch den Rest ihres Outfits besorgen?«, fragte ich.
    »Könnte ich, wenn dein Arsch nicht so dick wäre.«
    Kaum hatte ich mir dieses bunt zusammengewürfelte Ensemble übergezogen, fanden David und ich, dass ich zwar gnadenlos unmodisch und unattraktiv aussah, aber zumindest nicht mehr total verkatert und unzurechnungsfähig wirkte. Als wir die Herrentoilette verließen, um den Termin endlichwahrzunehmen, besprühte mich David noch mit seinem Eau de Cologne.
    »Na toll. Jetzt rieche ich wie du.«
    »Schön wär’s.«
    Larry Mulberg schien selbst nicht gerade den Seiten einer Modezeitschrift entstiegen, und so konnte er an meiner merkwürdigen Erscheinung kaum etwas auszusetzen haben. Davids Sekretärin kam auf seidenbestrumpften Füßen in sein Büro gelaufen und fragte, was wir trinken wollten, so kam ich schließlich doch noch zu meiner Cola. Das Gespräch lief gut: Ich erklärte Mulberg, welche Einsparung es für sein Unternehmen bedeuten würde, wenn freie Mitarbeiter die Hintergrundrecherchen durchführten, und legte ihm in aller Ausführlichkeit dar, wie erfahren meine Familie auf diesem Gebiet war. Leuten, die nicht mit mir verwandt waren, konnte ich schon immer alles Mögliche verklickern. Mulberg hing an meinen Lippen, ohne dass ihm ein einziges Mal aufgefallen wäre, wie grünlich mein Teint oder wie blutunterlaufen meine Augen waren.
    Schließlich durfte ich meine Füße wieder aus den geborgten Sandaletten befreien. Ich gab sie Davids Sekretärin mit herzlichem Dank zurück. Im Büro meines Bruders streifte ich mir wieder mein eigenes, zerknittertes Hemd über, bevor ich meinen einsamen Sneaker schweren Herzens in den Papierkorb warf.
    »David, kannst du mir Geld fürs Taxi leihen?« In Erwartung eines Funkens Mitgefühl deutete ich auf meine nackten Füße. Mein Bruder, der sich an seinem Schreibtisch bereits in die Arbeit vertieft hatte, bedachte mich mit einem kühlen Blick. Er griff in seine

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