Live!
weiß nicht, ob er erst seine Gedanken ordnen oder seine angestaute Wut zügeln muß. »Der wahre Eigentümer der Unternehmen war nicht Menelaos Vakirtsis, sondern sein Bruder. Apostolos Vakirtsis hat über alles und jedes Material gesammelt. Wenn die zusammengetragenen Hinweise nicht ausreichten, hat er eben welche konstruiert und damit so lange Druck ausgeübt, bis er erreichte, was er wollte. Ich bin sicher, daß er gegen Jason nicht wirklich etwas in der Hand hatte. Wie hätten wir ihm aber Einhalt gebieten können, wenn er seine Schlammschlacht begonnen und uns in seiner Sendung oder in seiner Zeitung mit Dreck beworfen hätte? Wir sind Unternehmer, Herr Kommissar. Und ein Wirbel um unseren Firmennamen kommt uns nicht zugute.«
»Jedenfalls kannten sich Jason Favieros, Loukas Stefanakos und Apostolos Vakirtsis seit der Juntazeit.«
»Ja gut, aber was heißt das schon? Wenn Sie auf die gemeinsame Vergangenheit und die gemeinsamen politischen Kämpfe anspielen wollen, vergessen Sie’s. Ab einem gewissen Punkt geht jeder seinen eigenen Weg, und wenn sie dann, wie das Leben so spielt, Konkurrenten werden, sind Solidarität und Gesinnungskämpfe längst Schall und Rauch, und jeder denkt nur an seinen eigenen Vorteil.«
Zum ersten Mal vertraut er sich mir ohne Ausflüchte oder Argwohn an, und ich habe keinen Grund, seine Worte anzuzweifeln. Und das eröffnet mir ganz neue Aussichten: Drei befreundete politische Mitstreiter arbeiteten dem äußeren Anschein nach zusammen. Doch in Wirklichkeit arbeiteten nur zwei von ihnen – Favieros und Stefanakos – zusammen, während der dritte die anderen beiden auf verschiedene Arten erpreßte, um sie sich gefügig zu machen. Die gemeinsame Vergangenheit aller drei und die jüngste Zusammenarbeit der ersten beiden könnte auch ihren Selbstmord erklären. Der Dritte war in seinen Erpressungen so weit gegangen, daß er sie zum Selbstmord trieb. Das wäre einleuchtend, wenn sich nicht auch der Dritte, der Erpresser, umgebracht hätte. Wenn aber auch das ein verkappter Mord war, dann müßte man davon ausgehen, daß die beiden anderen in ihrer Verzweiflung den Dritten getötet oder seine Tötung in Auftrag gegeben hätten. Doch sie waren zum Zeitpunkt des Selbstmordes des Erpressers bereits tot.
Ich komme auf keinen grünen Zweig, und es hat auch wenig Sinn, in Samanis’ Büro darüber zu brüten. Daher schicke ich mich zum Gehen an. Diesmal streckt er mir die Hand entgegen.
»Tja«, meint er. »Wenn Ihre Annahmen zutreffen, dann wünsche ich von ganzem Herzen, daß derjenige, der Jason zum Selbstmord getrieben hat, gefaßt wird. Nichts für ungut, aber ich wage zu bezweifeln, daß Ihnen das gelingen wird.«
Ich drücke wortlos seine Hand. Seinen Zweifel kann ich gar nicht gebrauchen. Mein eigener reicht mir vollkommen. Als ich die Seufzerbrücke überquere, höre ich meinen Beeper, den ich seit kurzem wieder dabeihabe. Er zeigt Gikas’ Nummer an, und vom Empfang aus rufe ich ihn zurück.
»Koula hat sich bei mir gemeldet. Fahren Sie sofort in Vakirtsis’ Haus nach Vranas. Sie ist der Meinung, etwas Wichtiges gefunden zu haben.«
Koula und Spyrakos waren heute morgen losgefahren, um Vakirtsis’ Rechner zu untersuchen, nachdem Gikas den Termin vereinbart hatte. Ich werfe einen Blick auf meine Uhr. Es ist kurz vor zwölf. Die Hitze und der Verkehr werden mir bis Vranas den Rest geben. Aber ich kann es mir nicht leisten, den Sonnenuntergang abzuwarten.
41
I n der größten Mittagshitze vom Ersten Athener Friedhof nach Vranas zu gelangen ist kein Honigschlecken. Ich zerbreche mir den Kopf über den kürzesten Weg, aber die einzige Anfahrtsmöglichkeit besteht im Kifissias-Boulevard und der Attika-Ringstraße. Leichter gesagt als getan, da die Fahrt über den Vassileos-Konstantinou- bis zum Kifissias-Boulevard zu dieser Tageszeit ein Martyrium darstellt. Auf dem Streckenstück in Psychiko, wo der Viadukt gebaut wird, stoße ich auf einen endlosen Stau. Ich versuche mir das Schrittempo zu versüßen, indem ich die riesigen Reklametafeln lese, die da verkünden: »In 3 Minuten von Maroussi nach Metamorfosi über die Attika-Ringstraße« oder »In 4 Minuten von Jerakas nach Koropi über die Attika-Ringstraße«. Athen ist aufgrund der Lebensumstände die christlichste Stadt der Welt: Der Weg zum Himmelreich führt durch den Schwefelpfuhl. Zuerst wird man auf den Athener Straßen mit Baustellen, Staus und Schlaglöchern bis aufs Blut gequält, bevor man die paradiesischen
Weitere Kostenlose Bücher