Live!
Verhältnisse auf der Attika-Ringstraße genießen darf. Dort angekommen trete ich aufs Gaspedal und presche voran, was mit den bescheidenen Mitteln des Mirafiori höchstens achtzig Stundenkilometer bedeutet. Der Fahrtwind weht mir ins Gesicht, doch die Erfrischung, die er bietet, ist aufgrund der herrschenden Hitze eher mental.
Die Strecke bis zum Autobahnkreuz Spata ist verhältnismäßig angenehm, doch mit der Auffahrt auf den Marathonos-Boulevard lasse ich das Paradies hinter mir und kehre wieder in die Hölle zurück. Als ich nach insgesamt zweistündiger Fahrt vor Vakirtsis’ dreistöckiger Villa in Vranas eintreffe, würde ich mich am liebsten samt meinen Kleidern in den Swimmingpool legen. Doch ich widerstehe der Versuchung und steige mit großen Schritten die Treppe hoch, die zur Veranda des Hauses führt. Die liegt verlassen und blitzsauber aufgeräumt, mit der Hollywoodschaukel und den Tischchen unter den Sonnenschirmen, in der Sonnenglut. Die Aufregung von Vakirtsis’ Todesnacht hat keinerlei Spuren hinterlassen.
Ich trete ins Wohnzimmer und stehe einer pummeligen Vierzigjährigen in T-Shirt und weißen Shorts gegenüber. Ihr Haar ist knallrot gefärbt, und aus den Shorts ragen zwei Oberschenkel, um die sie Fußballer und Ringer gleichermaßen beneidet hätten.
»Was wollen Sie?« fragt sie, als hätte sie es mit einem Hausierer zu tun, der billige Gartenmöbel anpreist.
»Kommissar Charitos.«
Mein Name scheint ihr etwas zu sagen, denn sie zaubert ein Lächeln auf ihre Lippen. »Ah ja, der Herr Kommissar. Ich bin Charoula Vakirtsi, die … die Witwe von Apostolos Vakirtsis.«
Diese Neuigkeit trifft mich unvorbereitet, da ich Vakirtsis für geschieden hielt. Da sie nicht den Eindruck einer zu Tode betrübten Witwe macht, übergehe ich die Beileidsbekundungen. »Meines Wissens war Vakirtsis geschieden«, gebe ich von mir, um sie zu einer Reaktion aufzustacheln.
»In der letzten Zeit haben wir getrennt gelebt, aber wir haben uns nicht scheiden lassen.« Letzteres hebt sie besonders hervor, um die Rechtmäßigkeit ihrer Anwesenheit zu unterstreichen. »Sie werden verstehen, daß ich nach dem tragischen Ereignis sofort herbeigeeilt bin. Außerdem hat Apostolos keine Verwandten, und jemand muß die Angelegenheiten doch regeln.«
Mit anderen Worten: Nicht nur ihre Anwesenheit ist rechtmäßig, sondern sie ist auch die rechtmäßige Erbin, da er sich nicht rechtzeitig scheiden ließ. Von Minute zu Minute geht sie mir mehr auf die Nerven.
»Am Tag des Unfalls hatte ich mit einer jungen Frau gesprochen –«
»Ah, die Kleine!« unterbricht sie mich. »Die kleine Nutte hat ihre Sachen gepackt und ist verschwunden, sobald sie von meiner Rückkehr hörte. Sie hat ihm genug aus der Tasche gezogen. Irgendwann ist das große Fressen vorbei.«
»Wo sind meine Assistenten?«
»Im zweiten Stock, in Apostolos’ Arbeitszimmer.«
Ich verdrücke mich schleunigst – aus Angst, ich könnte ihr sonst ein paar Ohrfeigen verpassen. Zügig klettere ich die Treppe zu Apostolos Vakirtsis’ Arbeitsraum hoch. Koula kniet vor dem Schreibtisch. Sie hat die zweite Schublade herausgezogen und durchsucht die Audiokassetten, die ich schon am ersten Abend entdeckt hatte. Spyrakos ergötzt sich am Anblick des Computerbildschirms.
»Warum habt ihr mich so dringend hergerufen?« frage ich Koula, die bei meinem Anblick aufspringt.
Anstelle einer Antwort geht sie auf den Schreibtisch zu, greift nach einem Stoß Blätter und überreicht ihn mir wortlos. Beim ersten Blick drauf fällt er mir fast aus der Hand – ich halte Vakirtsis’ Biographie in Händen, dieselbe Version, die Logaras auch an mich geschickt hat.
Ich brauche eine Weile, um mich von dem Schock zu erholen und wieder einen klaren Gedanken fassen zu können. Logaras hatte also die Biographie auch an Vakirtsis geschickt, bevor er sie mir übersandte. Offenbar war das Teil seines Plans. Aber wozu diente das Manöver? Ich bin dermaßen durcheinander, daß meine grauen Zellen versagen. Ich verschiebe die Beantwortung der Frage auf später und frage statt dessen nach, ob sie aus dem Computer noch etwas herausgekitzelt haben.
»Der Typ hat damit nur angegeben«, mischt sich Spyrakos ein. »Der hat höchstens ab und zu Tarot gespielt oder ist alle Jubeljahre mal ins Internet gegangen.«
»Wie kommst du darauf?« frage ich. »Weil er kein Löschprogramm hatte?«
Er wirft mir einen spöttischen Blick zu. »Nicht nur deshalb. Wenn man einen Rechner einschaltet, sieht man
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