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den Biographien zu tun. Daher konnte ich auch beim Lesen von Stefanakos’ Lebensgeschichte das Gefühl einer gewissen Künstlichkeit, einer gewissen Konstruiertheit nicht loswerden.
Aus heiterem Himmel schießt mir ein anderer Gedanke durch den Kopf: Was, wenn die öffentlichen Freitode etwas mit den Biographien zu tun hatten? Wenn der Selbstmord vor Publikum die Bedingung dafür war, Favieros, Stefanakos und Vakirtsis den Nachruhm zu sichern? Die Erklärung ist einleuchtend, aber die Frage bleibt nach wie vor unbeantwortet, warum sie sich einer solchen Bedingung beugen sollten und was sie zu einer solchen Tat hätte bewegen können.
Wie ich die Sache auch drehe und wende, ich finde keine Antwort. Daher gehe ich in den Garten hinunter. Schon nach zwei Minuten ist mein Kopf so heiß wie ein Dachziegel. Ich entferne mich vom Swimmingpool und gehe zur Stelle, wo sich Vakirtsis angezündet hat. Sämtliche Spuren sind verschwunden. Der Platz, wo die Leiche gelegen hatte, wurde umgegraben und neu bepflanzt, die angrenzenden verkohlten Pflanzen entfernt. Ich weiß nicht, ob es sich dabei um Blumen- oder um Gurkensamen handelt, da man die jungen Triebe noch nicht zuordnen kann.
In einiger Entfernung höre ich das Knattern eines herannahenden Motorrads. Es ist der Schlosser der Spurensicherung. Er bleibt in einigem Abstand stehen, öffnet das Gepäckfach und nimmt einen kleinen Werkzeugkasten heraus. Ich warte neben der Treppe zur Veranda auf ihn.
»Guten Tag, Herr Kommissar. Was soll geöffnet werden?« fragt er, sobald er bei mir angekommen ist.
»Eine Schreibtischschublade mit einem Sicherheitsschloß.«
Zusammen gehen wir in den obersten Stock hoch. Spyrakos sitzt immer noch vor dem Fernseher. Koula hat alle Audiokassetten auf Vakirtsis’ Schreibtisch verfrachtet und ordnet sie chronologisch.
»Die hier«, sage ich zum Schlosser und deute auf die Schublade.
Er wirft einen flüchtigen Blick darauf. »Kleinigkeit.«
In der Tat hat er sie bereits mit dem zweiten Schlüssel geöffnet. Koula und ich nähern uns neugierig. Die ganze Schublade enthält alles in allem fünf Audiokassetten. Eine davon ist die von uns gesuchte vom 21. Mai. Die anderen vier tragen Daten vom Oktober, Dezember, Januar und Februar, unklar welchen Jahres. Vakirtsis schien in dieser Schublade die Aufzeichnungen jener Sendungen aufbewahrt zu haben, mit denen er diverse Leute erpreßt hatte.
»Nehmt sie mit und laßt eine Mitschrift anfertigen«, weise ich Koula an.
»Ich nehme auch die anderen mit.«
»Gut, aber lassen Sie diese fünf zuerst transkribieren. Die geben am meisten her.«
Unter den Audiokassetten finde ich zwei Ordner. Als ich den ersten aufschlage, stoße ich auf eine Abschrift des Protestschreibens an den Minister, das Aspasia Komi in ihrer Sendung Aquarium Favieros gezeigt hatte. Dahinter befindet sich die Fotokopie eines Schecks über vierzig Millionen Drachmen, etwa hundertsiebzehntausend Euro. Der Orderscheck ist auf ihn selbst ausgestellt und trägt keinen Stempel, daher muß er einer von Favieros’ privaten Schecks sein. Es wird nicht schwierig sein herauszufinden, wer den Scheck eingelöst hat. Weitaus schwieriger wird es sein herauszukriegen, wer sich hinter demjenigen verbirgt, der ihn eingelöst hat. Der Erpresser Vakirtsis hätte keine Fotokopie zurückbehalten, wenn es sich nicht um Schmier- oder Bestechungsgelder gehandelt hätte. Dahinter finde ich die Fotokopien dreier Kaufverträge. Bei allen fungierte Kariofyllis als Notar. Vakirtsis kannte also Favieros’ Netz von Maklerbüros und wußte, wie sie funktionierten. Deshalb fürchtete ihn Favieros.
Der zweite Ordner betrifft Stefanakos. Stefanakos’ einziges Privateigentum war geistiger Art: sein Gesetzesentwurf für die Förderung der kulturellen Identität der Albaner in Griechenland. Alles andere lief über seine Ehefrau. Schon beim flüchtigen Durchblättern stoße ich auf drei Fotokopien bewilligter EU -Subventionen, die sich auf erkleckliche Summen belaufen. Da Vakirtsis die Kopien aufbewahrte, mußte es sich dabei um ein Zugeständnis an die Stathatou unter Vermittlung ihres Ehemannes, des Parlamentariers, handeln. Ich stoße noch auf eine weitere Fotokopie in englischer Sprache, aber die muß ich mir übersetzen lassen, da meine Sprachkenntnisse dafür nicht ausreichen. Ganz zum Schluß fördere ich noch einen Scheck über dreihunderttausend Euro zutage. Der stammt jedoch von keiner griechischen Bank, sondern von einem Geldinstitut in
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