Live!
unterbrechen nun kurz, um uns die Selbstmordszene nochmals anzusehen – vielleicht liefert sie uns irgendeinen Anhaltspunkt«, sagt der Moderator, der nur auf die Gelegenheit gewartet hat, die Szene nochmals zu zeigen.
Die Diskussion wird unterbrochen und Werbespots regnen nahezu eine Viertelstunde lang auf die Zuschauer nieder.
»Seht ihr das? Das hört gar nicht mehr auf!« triumphiert Adriani zum zweiten Mal.
Der Regisseur greift in die Trickkiste und, statt nochmals zum Moderator zurückzuschalten, knallt er nach dem Werbeblock das Interview in den Äther, das allem Anschein nach in Stefanakos’ Büro aufgenommen wurde. Es handelt sich um ein ganz normales Arbeitszimmer mit einer Einrichtung, die man in jedem x-beliebigen Möbelhaus kaufen kann. Stefanakos sitzt hinter seinem Schreibtisch. Im Gegensatz zu Favieros trägt er Anzug und Krawatte. Ich weiß nicht, ob er ein so fähiger Mann war, wie seine Kollegen behaupten. Jedenfalls erinnert er mehr an einen Bankdirektor als an einen Parlamentarier.
Der Journalist Jannis Kourtis, mit dichtem schlohweißen Haar und Bart, sitzt ihm gegenüber. Den bringen sie sehr selten und nur bei außergewöhnlichen Anlässen zum Einsatz. Denn obwohl er eher wie ein Weihnachtsmann aussieht, gilt er als schweres journalistisches Geschütz.
»Finden Sie all das nicht ein bißchen zu riskant für die griechische Gesellschaft?« fragt er Stefanakos.
»Was meinen Sie, Herr Kourtis?«
»Nun, Sie wollen doch, daß in den Gegenden, wo viele Wirtschaftsflüchtlinge leben, an den Schulen albanischer Sprachunterricht eingeführt wird. Oder Sie sagen, es müßten mit staatlicher Unterstützung Kulturvereine gegründet werden, damit sie ihre nationale Identität bewahren könnten. Da wird nicht nur die Kirche Einspruch erheben, nicht nur die extreme Rechte, das wird selbst den einfachen Bürgern, die den Flüchtlingen nicht notwendigerweise feindlich gesinnt sind, zu weit gehen.«
»Wenn wir diesen zweifachen Weg der Integration der Flüchtlinge in die griechische Gesellschaft, unter gleichzeitiger Erhaltung ihrer nationalen Identität, nicht weiter verfolgen, wenn die Flüchtlinge nicht griechische Staatsbürger albanischer, bulgarischer oder russisch-pontischer Herkunft werden können, dann werden sich die Probleme in einigen Jahren noch viel drastischer zuspitzen. Es ist eine Selbsttäuschung zu glauben, daß das Problem mit Aufenthaltsgenehmigungen gelöst wäre.«
»Darf ich Ihnen, Herr Stefanakos, in Erinnerung rufen, daß auch Jason Favieros, der viele ausländische Arbeitskräfte auf seinen Baustellen einsetzte, dieselbe Ansicht vertreten hat? Nach seinem Freitod ist eine nationalistische Vereinigung aufgetaucht, die behauptete, sie hätte ihn zum Selbstmord veranlaßt. Ich bin nicht der Meinung, daß diese Behauptung stimmt, aber, von offizieller Seite zumindest, ist sie bislang nicht bestritten worden.«
»Jason Favieros hatte recht«, entgegnet Stefanakos ohne zu zögern. »Einen Augenblick, dann beweise ich es Ihnen.« Er steht auf und verläßt sein Büro.
Kourtis bleibt allein zurück. Da das Interview live übertragen wird, hört man nun die Stimme des Moderators: »Jannis, stell doch Herrn Stefanakos eine Frage, wenn er zurückkommt. Nämlich, was er von dem Mord an den beiden Kurden durch die nationalistische Organisation Philipp von Makedonien hält und ob er nicht fürchtet, daß die von ihm vorgeschlagene Politik weitere derartige Morde provozieren könnte.«
»Ich werde ihn fragen, Panos«, antwortet Kourtis.
Doch dazu kommt es nicht. Denn gleich darauf öffnet sich die Tür des Büros, und Stefanakos taumelt herein. An drei Körperstellen blutet er: aus einer Wunde am Herzen und zweien im Bauchbereich. Sein Anzug hat sich tiefrot verfärbt.
Als Kourtis ihn erblickt, springt er auf. Doch anstatt auf ihn zuzugehen, weicht er zwei Schritte zurück. Stefanakos torkelt weiter bis in die Mitte des Raumes. Dort bleibt er stehen, öffnet den Mund und versucht etwas zu sagen. Doch seine Stimme versagt. Mit großer Anstrengung gelingt es ihm, mühsam zu artikulieren: »Ich hoffe, Favieros und ich sind nicht umsonst gestorben …«
Er läßt den Satz unvollendet und bricht zusammen. Kourtis überwindet sich dazu, näher zu treten, aber er rührt ihn nicht an. Er beugt sich bloß über ihn und ruft seinen Namen: »Herr Stefanakos … Herr Stefanakos …«, als könne er ihn dadurch zum Leben erwecken.
»Jannis, laß Stefanakos und sieh nach, wie er es getan hat«,
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