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Live!

Live!

Titel: Live! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petros Markaris
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ist die befehlende Stimme des Moderators zu hören. »Leider ist uns nun schon zum zweiten Mal das traurige Los zugefallen, live über den Selbstmord einer herausragenden Persönlichkeit berichten zu müssen.«
    Seine Stimme klingt weinerlich. Kourtis läßt Stefanakos liegen und geht auf die Bürotür zu. Er zieht sie vollständig nach innen auf. Die Kamera fährt heran. An der Rückseite der Tür wurden drei spitze Messerklingen angebracht, und zwar genau an den Stellen, wo Stefanakos durchbohrt wurde. An den Seiten sind zwei Metallgriffe montiert worden.
    Es ist offensichtlich, was Stefanakos getan hat. Er hat sich an den Griffen festgehalten und sich mit aller Wucht in die Klingen gestürzt.
    Das Bild erlischt und die Diskussion kommt wieder in Gang. »Wie Sie wissen, hat unser Sender umgehend einen Krankenwagen gerufen«, sagt der Moderator, als verkünde er eine Heldentat. »Doch als der Parlamentsabgeordnete Loukas Stefanakos ins Krankenhaus eingeliefert wurde, war er bereits tot.«
    Mir reicht das Gehörte und Gesehene, und ich schalte den Fernseher ab.
    »Nun? Sprich«, wendet sich Fanis an mich.
    »Dasselbe Schema wie bei Favieros. Kein Zweifel.«
    Adriani erachtet es als überflüssig, zum dritten Mal darauf zu pochen, daß sie recht behalten hat, und begnügt sich mit einem siegesbewußten Lächeln. Ich erhebe mich und rufe Gikas an.
    »Ich hab’s mir angesehen«, sage ich, sobald ich seine Stimme höre, und wiederhole das, was ich schon Fanis gesagt habe. »Es handelt sich um dasselbe Schema wie bei Favieros’ Selbstmord.«
    »Sehen Sie, wie recht ich hatte! Da war doch etwas faul!« meint er und seine Stimme dröhnt vor Genugtuung wie die Kirchenglocken bei der Auferstehung Christi am Ostersonntag.
    Diesmal stört mich sein Hochmut nicht. Im Endeffekt gehen wir beide über Leichen. Er, weil er recht behalten, und ich, weil ich meine Haut retten will.

19
    D er Kioskbesitzer hat mich seit Favieros’ Selbstmord nicht mehr gesehen. Er stopft alle Zeitungen mit Ausnahme der Sportgazetten in eine Plastiktüte und zwinkert mir zu.
    »Der Selbstmord des Abgeordneten, was?«
    Schon nach Favieros’ Freitod hatte er den Allwissenden gespielt, und so fühle ich mich genötigt, die Dinge klarzustellen:
    »Hören Sie mal, ich lese nicht nur Zeitung, wenn sich jemand umbringt.«
    »Kommen Sie, Herr Kommissar! Sie müssen sich nicht rechtfertigen. Hier habe ich Kunden, die nur eine Sportzeitung kaufen, wenn ihre Mannschaft gewonnen hat.«
    Was will er damit sagen? Daß ich Zeitungen kaufe, weil ich auf der Gewinnerseite stehe? Schön wär’s, denke ich und schlage den Rückweg nach Hause ein. Zum ersten Mal seit Jahren verläßt Adriani vor drei Uhr nachmittags ihre Küche und widmet sich ausgiebig der Zeitungslektüre.
    Die Stimmung im Blätterwald hat seit dem ersten Selbstmord vollkommen umgeschlagen. Damals fragten sich alle, welches Motiv Jason Favieros hatte, und jede Zeitung verkündete ihre Version. Nun, bei Stefanakos, setzen alle seinen Selbstmord mit dem Favieros’ in Verbindung und sprechen offen über einen Politskandal, der beiden das Leben gekostet haben soll. »Freiwilliger Abgang vor Enthüllung?« fragt sich ein der Oppositionspartei nahestehendes Blatt. In einem anderen droht ein Abgeordneter, der ebenfalls von der Opposition ist, mit sensationellen Enthüllungen. »Das tödliche Geheimnis der Olympiade« titelt eine weitere Zeitung, während eine vierte in ihrem Leitartikel schreibt: »Obwohl es, vorläufig zumindest, keine gesicherten Informationen in diese Richtung gibt, bleibt die Möglichkeit bestehen, daß sich hinter den Selbstmorden von Favieros und Stefanakos ein Skandal verbirgt, der noch weitere Todesopfer fordern könnte, sollte er ans Tageslicht kommen.«
    Die Skandalversion ist übrigens gar nicht zu verachten. Als sich Favieros umbrachte, waren alle wie vor den Kopf gestoßen. Nun, nach Stefanakos’ Freitod, beginnt man klarer zu sehen. Ein Unternehmer und ein Politiker begehen Selbstmord, um die öffentliche Bloßstellung durch einen Skandal zu vermeiden, der kurz vor der Enthüllung steht. Dabei bleibt freilich die Tatsache des zweifachen öffentlichen Freitodes bestehen. Wieso sollte jemand in aller Öffentlichkeit Selbstmord begehen, wenn er vermeiden will, an den Pranger gestellt zu werden? Verliert man denn beim Freitod vor den Augen Tausender Fernsehzuschauer nicht auch das Gesicht? Wer weiß, wenn wir eines Tages mehr darüber wissen, können wir vielleicht den

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