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Live

Live

Titel: Live
Autoren: Ein Thriller
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inmitten eines unüberschaubaren Wusts von Papier, Fotos und Akten stand.
     
    Verbrechen, die wahrscheinlich nie aufgeklärt werden würden. Ein weiterer Tag in New York. Officer Charles Foster schloß die Augen und atmete durch.
     
    Für einen Moment verschwand seine Umgebung aus seinem Bewußtsein. Er wartete. Er wartete auf den Schmerz, der bald kommen würde.
     
    Der Geruch von Schweiß und Waffenöl, der sich immer in den Umkleideräumen befand, war nur noch ein kaum bemerkbarer Gestank, der verdrängt werden konnte. Das einzige Geräusch war sein eigener Atem. Charlie Foster war allein mit seinen Erinnerungen.
     
    Sie waren immer da.
     
    Waren immer dieselben, schon seit über neun Jahren, und neun Jahre waren eine verdammt lange Zeit, in denen die Erinnerungen verblaßt sein müßten wie auf einem alten Foto.
     
    Neun Jahre seit dem 11. September.
     
    Jeder wußte, wieviele Menschen an diesem Tag gestorben waren. Jedes Jahr wieder wurden die Zahlen vorgebetet, auf den Nachrichtenkanälen, auf den Websites, in den Zeitungen, wurden aufgezählt von Präsidenten, Journalisten und Kommentatoren.
     
    Und hatte das World Trade Center bis zu diesem Tag den Rest von Manhattan überschattet, so blieb von den Toten des 11. September auch nur diese eine Zahl übrig, die sich in die Geschichte eingegraben hatte.
     
    2.792.
     
    Helden und Opfer. Leben, an denen man sich erinnerte. In Zeitungsartikeln. Dokumentationen. In Grabreden. In politischen Ansprachen, die zu zwei Kriegen führten.
     
    Charlie Fosters Frau war nicht auf dieser Liste. War nicht Teil der offiziellen Statistik, wurde nie Teil des amerikanischen Unterbewußtseins, obwohl sie am selben Tag gestorben war.
     
    Auf einer Straße in des San Diego International Airport. Überfahren von einem der Leute, die sich nach stundenlanger Berichterstattung in eine Bar vergraben hatte, einem Bier nach dem anderen saufend, während das Fernsehen immer auf Sendung blieb, immer live war, immer neue Informationen brachte, während die Kunden in der Bar sich blinde Wut antranken. Alkoholisierte Drohungen, gewürzt mit gesalzenen Erdnüssen und nur unterbrochen von dem Drang, hin und wieder eine Stange Wasser in die Ecke zu stellen.
     
    Charlie Fosters Frau war auf Geschäftsreise gewesen.
     
    Mehr als dreitausend Kilometer von Ground Zero entfernt, und als sie die Telefonnetze endlich wieder funktionierten, und Charlie Foster sie erreichte, auf einem halb geschmolzenen Stahlträger stehend, mit Ruß und weißem Staub über seinem ganzen Gesicht verschmiert, als er die feingemahlenen Überreste von Menschen einatmete, von Menschen, die einmal hier gearbeitet und gelacht hatten, von Menschen, von denen einige seine Kollegen, seine Freunde gewesen waren, da war es ihm als würde Madeline von einem anderen Planeten anrufen.
     
    Von einem Planeten, der nicht in Blut und Chaos versunken war, bei dem noch alles so war wie er es in Erinnerung hatte, und für einen Moment, für einen kleinen Moment, für den er sich später schämen würde, war er froh gewesen.
     
    „Ich bin okay,“ hatte er seiner Frau gesagt. „Es ist schlimm, aber ich bin okay.“
     
    „Im Fernsehen…“ hatte Madeline gesagt, bevor er ihr das Wort abgeschnitten hatte.
     
    „Im Fernsehen sieht alles schlimmer aus als es ist, ich bin okay.“
     
    Die Feuerwehrleute einige Meter weiter holten ein verborgenes, verkohltes Ding aus dem Schutt heraus. Das Ding schrie. Das Ding schrie mit der Stimme einer Frau. Charlie Foster hatte die Augen geschlossen. Das Ding schrie noch für einige Momente, dann war es still.
     
    „Ich werde versuchen, einen Flug heute abend zu bekommen,“ hatte Madeline gesagt, in ihrer dünnen Stimme, die von diesem anderen Planeten kam, so weit entfernt und so sicher.
     
    „Ich weiß nicht…“ Diesmal war sie es, die ihn abgeschnitten hatte.
     
    „Heute abend,“ hatte Madeline gesagt.
     
    „Okay.“
     
    „Paß auf dich auf,“ hatte Madeline gesagt.
     
    „Du auch.“
     
    Weniger als sieben Stunden später war sie tot gewesen. Eingeklemmt in dem Wrack eines  japanischen Mietwagen, verblutet zwischen verbogenem Stahl und Plastik. Von einem der Kerle von der Straße gedrängt, die sich Mut und Wut angesoffen hatten, und dann die Kontrolle über seinen SUV verloren hatte, über drei Tonnen Metal, die sich in den Kleinwagen mit über 60 Stundenkilometer gebohrt hatten.
     
    Die Nachricht hatte zuhause auf ihn gewartet, eine offizielle Stimme aus den Tiefen
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