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Live

Live

Titel: Live
Autoren: Ein Thriller
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seines Anrufbeantworters, nüchtern und knapp, mit einer Telefonnummer am Ende, unter der sich Foster informieren konnte.
     
    Für Madeline hatte es keine offizielle Trauerfeier gegeben, keine großen Reden, kein Platz auf den Erinnerungsfeiern, die jährlich in der offenen Grube des Ground Zero abgehalten wurden.
     
    Im Schatten des 11. September.
     
    Vor neun Jahren.
     
    Charlie hustete. Er hustete häufig. Der Husten kam tief aus seiner Kehle, kam aus seiner Lunge, trockener Schleim, der sich seinen Weg nach oben bahnte, und dann irgendwo steckenblieb, wie ein zäher Klumpen Vergangenheit.
     
    Die anderen Jungs im Umkleideraum sahen ihn an. Sagten nichts. Wußten, was es war. Hatten es schon vorher gesehen. Sprachen nie drüber. Jedenfalls nicht während der Arbeit.
     
    Charlie beugte sich vorneüber. Spuckte trocken. Spuckte blutig. Spuckte Schleim.
     
    Die Abendschicht kam nach unten in die Umkleideräume; verschiedene Stimmen, die sich untereinander mischten, zu einer einzigen, unverständlichen Stimme anschwollen, die in dem kleinen Keller beängstigend laut wirkte.
     
    „Alles okay, Charlie?“ fragte einer von ihnen.
     
    2,792. Das war die Zahl, an die man sich erinnerte.
     
    An die man sich immer erinnern würde.
     
    Madeline war kein Teil dieser Zahl. Und auch ihr Ehemann würde nicht auf diese Liste kommen. Und dennoch waren beide am 11. September 2001 gestorben.
     
    Charlie Foster spuckte.
     
    Und ein Stück des World Trade Centers landete, gemischt mit blutigem Speichel, auf den Boden des Umkleideraums.
     
    Neun Jahre, nach dem er es eingeatmet hatte. Manchmal, an den schlimmen Tagen, da wünschte sich Foster, sein Tod wäre so schnell gekommen wie der seiner Frau.
     
    Manchmal. Wenn der Dreck, der Staub und der Tod, den er am Ground Zero eingeatmet hatte und der sich nun durch seinen Körper fraß, quälend langsam, ihn kaum atmen ließ.
     
    „Ist nicht so schlimm“, sagte Charlie, und hob die Hand, streckte den Daumen raus und hoffte, daß die anderen nicht in sein Gesicht schauten, das vor Schmerzen verzerrt war.
     
    „Ich bin okay.“
     
    Er wartete.
     
    Er wartete, bis die anderen die Umkleide verlassen hatten, bis er sich erlaubte, zu weinen. Es war das einzige Geräusch in dem Raum. Charlie Foster fuhr sich mit seinen Händen über sein Gesicht, während er weinte, immer und immer wieder.
     
    Du wirst es nicht tun,   meinte eine Stimme ihn ihm, Versager.
     
    Charlie nahm seinen Revolver aus dem Halfter. Berührte den Abzug seines Revolvers und wartete darauf, daß das scharfe klick  den Raum füllte. Der Schlagbolzen schlug gegen die Patronenkammer.
     
    Vor ihm, auf der Holzbank, waren die sechs Kugeln der .38, die ruhig und gelassen darauf warteten, daß er seine Entscheidung traf.
     
    Es war nicht das erste Mal, daß er die Waffe entladen hatte, daß er die Schwere des Metalls in seiner Handfläche gespürt hatte, mit ihr spielte und die kleinen Soldaten aus Metall anstarrte, mit grauen Helmen aus Blei, deren Körper golden im Licht der Neonlampen glänzten.
     
    Er sah sie sich an.
     
    Eine Kugel hatte eine doppelte Kerbe in dem Bleimantel. Die hatte er mit einem Schraubenzieher hinein geritzt. Er mußte sicher sein, daß es seinen Kopf auseinanderreißen würde, wenn er die .38 Special unter sein Kinn ansetzte und abdrückte.
     
    Tränen waren in seinen Augen und seine Wangen waren feucht, als er mit Zittern nach der einen Kugel griff, seiner  Kugel, die Trommel des Revolvers öffnete und sie langsam hineinschob.
     
    Er fühlte, wie die Messingumrandung der Patrone leise gegen den Stahl der Kammer rieb, bis sie am Anschlag angelangt war.
     
    Charlie schloß die Trommel wieder.
     
    Drehte die Trommel. 
     
    Er würde es tun.
     
    “Madeline”, flüsterte er mit tränenerstickter Stimme.
     
    Dann hob er die Mündung, drückte sie gegen seine Kehle, höher, sein Kinn. Es war kein unangenehmes Gefühl. Das Metall war kühl. Sehr kühl. Er schloß die Augen.
     
    Eine weitere Träne lief seine Wange herab.
     
    Wenn er doch nur aufhören könnte, zu zittern.
     
    Wenn er doch nur den Abzug durchziehen könnte.
     
    Wenn doch nur Madeline noch am Leben wäre.
     
    Sein Finger riß den Abzug durch.
     
    Er erwartete eine kleine Explosion an seinem Kiefer, den kurzen Schmerz, bevor es dunkel werden würde.
     
    Nichts.
     
    Er öffnete die Trommel wieder. Die Patrone war zwei Kammern vom Lauf entfernt gewesen. Er biß die Zähne zusammen. Nur zwei Kammern. Er
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