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Liverpool Street

Liverpool Street

Titel: Liverpool Street Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne C. Voorhoeve
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inmitten eines öden Ackers, in dem kleine weiße Papierfähnchen ihre vom Regen verwaschenen Aufschriften hängen ließen. Der traurige Gesamteindruck wurde nach Kräften unterstützt von einem ziegenstallgroßen Wellblechobjekt, das einen halben Meter tief in den Boden versenkt war und in dem fast ebenso hoch das Wasser stand. »Gestatten? Unser Anderson-Shelter!«, stellte Walter vor. »Er sieht nicht so aus, aber er bietet Schutz vor allem, was nicht gerade ein direkter Treffer ist.«
    Ungläubig blickte ich in das Innere unseres privaten Schutzraums. Ich hatte nicht unbedingt erwartet, dass ein Bunker einladend ausschaute, aber ganz sicher mit etwas mehr gerechnet als vier beängstigend schmalen, in eine Blechkonstruktion geschraubten Pritschen mit einem Löschwasserteich in der Mitte! »Hat das schon mal jemand ausprobiert?«, fragte ich düster.
    »Nein, wir dachten, wenn der Alarm kommt, ist es früh genug!«, meinte Walter fröhlich. »Die Nachbarskinder spielen in ihrem … aber der ist auch besser abgedichtet, soviel ich weiß.«
    Ich stellte mich auf die Zehenspitzen, schaute über den Holzzaun und erspähte identische kleine Äcker und Wellblechdächer, so weit das Auge reichte. » Dig for Victory  – Buddeln für den Sieg!«, erklärte Walter stolz. »Selbst der Hyde Park ist jetzt ein Gemüsegarten. Ist es nicht fantastisch, wie die Engländer selbst aus der Not noch einen Volkssport machen?«
    »Wenn es so weit ist, verlasse ich mich lieber auf meinen Sport«, erwiderte ich. »Rennen!«
    Wir gingen zurück ins Haus, wo uns Amandas Stimme aus dem Flur entgegenklang. Das Telefon musste sie geweckt haben; allerdings sagte sie nicht viel mehr als »Hm« und »Aha«. Erst als sie aufgelegt hatte und im Morgenmantel zu uns in die Küche kam, konnte ich an ihren hochroten Wangen ablesen, dass es sich bei dem Anrufer um Mrs Lewis vom Flüchtlingskomitee gehandelt haben musste.
    »Ich verrate dir etwas!«, sagte Amanda grimmig. »Deine Mutter hat nicht mehr über dich zu bestimmen. Zumindest ist Mrs Lewis dieser Meinung. Es fehlte nicht viel und sie hätte mich deines Kidnappings beschuldigt! Wenn ich sie vor meiner Reise informiert hätte, dann wärest du mit Sicherheit nicht hier.«
    »Und jetzt?«, fragte ich erschrocken.
    »Besorgen wir deine Lebensmittelkarten und weihen dich in unser Familienunternehmen ein.«
    »Und die Schule?«
    »Auf ein Minimum reduziert. Viele Lehrkräfte sind in der Armee oder üben kriegswichtige Tätigkeiten aus. In manchen Stadtteilen gibt es überhaupt keinen Unterricht mehr. Ich möchte auf keinen Fall, dass du allein im Haus bist, also wirst du mittags nach der Schule zu uns in die Stadt kommen. Wir essen dort, du kannst im Büro Hausaufgaben machen und uns im Elysée helfen, und nach der letzten Vorstellung fahren wir alle zusammen nach Hause.«
    »Im Kino mitarbeiten? Ich? Und nur vormittags Schule?«
    »Gar nicht so schlecht, der Krieg, stimmt’s?«, bemerkte Walter.

15
    Koscher-Deli: So lautete der Name des kleinen Restaurants, in dem wir während der Woche zu Mittag aßen, und schon beim Eintreten wusste ich, dass ich mich gleich wieder ärgern würde. Walter beim Mittagessen war eine Plage! Er riss Amanda den Stuhl zurück, als ob sie sich nicht alleine setzen konnte, füllte ihr Wasserglas nach, sobald sie den winzigsten Schluck genippt hatte und gab in schauderhaftem Englisch sogar unsere Bestellung auf, als wäre er derjenige, der dafür bezahlte. Mein eigenes Glas hätte zu Boden fallen können, ohne dass es jemand bemerkte! Empört beobachtete ich, wie meine Pflegemutter Walters Bewunderung genoss, wie sie ihm aufmerksam zuhörte, ein wenig zu laut über seine Scherze lachte, und fand mich hin- und hergezerrt zwischen Herablassung und dem drängenden Wunsch, ebenfalls etwas Gefälliges zum Besten zu geben. Umso patziger fielen die Bemerkungen aus, die mir beim Mittagessen entschlüpften, sodass selbst der anschließende Einkaufsbummel, bei dem Amanda und ich endlich wieder unter uns waren, bisweilen noch davon überschattet wurde.
    Außer dass man jetzt nur noch in den Läden einkaufen durfte, wo man als Kunde registriert war, fand ich die Rationierung halb so schlimm. Butter, Zucker, Fleisch, Käse und Süßigkeiten gab es nun also auf Marken, Eier und Milch nicht, da sie nicht regelmäßig vorrätig waren. Mit gefüllten Einkaufstaschen schlenderten wir die Camden High Street zurück und vergaßen beinahe, dass Krieg war. Tagsüber sah ja alles aus wie

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