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Liverpool Street

Liverpool Street

Titel: Liverpool Street Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne C. Voorhoeve
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Liebling«, sagte Matthew und sah besorgt zu, wie Amanda Vorkehrungen traf, mein Haustier aufzutauen.
    »Ich habe nicht vor, den Rabbiner zu fragen! Sie ist sauber, sie riecht nicht, sie hat ihr Leben lang koscheres Futter bekommen. Eine reinere Hühnersuppe hat in diesem Land seit Jahren niemand gegessen.« Ungerührt, fast mit Todesverachtung, begann sie Victorys Federn auszureißen; es klang wie das Rupfen von Gras.
    »Du verrohst , Mum!«, sagte ich erschüttert.
    »Nun ist es aber gut!«, wies mich Onkel Erik zurecht. »Siehst du nicht, dass ihr der Schweiß auf der Stirn steht? Gib mir das Huhn, Amanda. Ich mache das.«
    »Ihr seid ekelhaft!«, rief ich und rannte hinauf in mein eisiges Zimmer, wo ich unter der Bettdecke mit den Zähnen klapperte, bis das schauerliche Werk vollendet war und ein Duft durchs Haus zu ziehen begann, der immer weniger an Victory und immer mehr an Millie und längst vergangene, gute alte Tage erinnerte.
    »Victory-Suppe«, bemerkte Amanda liebenswürdig, als sie Walter, dessen Heimaturlaub pünktlich zum Schabbat begonnen hatte, den Teller füllte. Unter unseren wie hypnotisierten Blicken griff er nichts ahnend nach dem Löffel, probierte, schaute andächtig, nahm einen zweiten Schluck und murmelte: »Köstlich! Victory – der Sieg – ist ganz nahe, ich schmecke es!«
    Die anderen verbissen sich mühsam das Lachen und ich senkte den Kopf tief über den Teller. Wenn ich bereit war, mein eigenes Huhn zu essen, nur um Walter den Appetit nicht zu verderben, musste es mich schlimmer erwischt haben, als ich bisher geglaubt hatte!
    Es war Walters Idee gewesen, Amanda und Matthew einen freien Abend zu schenken und am Sonntag das Elysée zu hüten, damit sie mal wieder gemeinsam ausgehen konnten. Die Vorstellung, allein mit Walter im Kino zu sein, ließ mein Herz höherschlagen. Wir hatten uns seit anderthalb Jahren nicht gesehen und ich bildete mir ein, ein gewisses Erstaunen in seinem Blick bemerkt zu haben, als er mich begrüßte. In der Woche zuvor hatte es sich noch seltsam angefühlt, siebzehn zu werden, aber nun, am dritten Tag nach Walters Blick, stand es mir schon deutlich besser!
    Amanda und ich teilten uns Bad und Schlafzimmerspiegel, um unsere karge Kriegsgarderobe auszuprobieren, uns gegenseitig zu beraten, mit Kohlstift falsche Strumpfnähte auf die Beine zu malen und ziemlich ausgelassen zu werden. Dabei ging ich gar nicht aus, sondern nur mit Walter zur Arbeit! Aber Amanda schien meine Aufregung darüber nicht im Geringsten zu wundern. »Du siehst bildhübsch aus, Schatz!«, sagte sie, als ich endlich fertig war.
    »Du auch, Mum. Wie immer!«
    »Unsinn. Ich werde ganz grau, sieh dir das an.«
    »Aber es steht dir! Es ist hochelegant! Ich platze vor Stolz, wenn ich mit dir unterwegs bin.«
    »Nun, heute Abend wird ein anderer stolz sein, so viel steht fest!«
    Wir lächelten uns an. »Du weißt Bescheid, oder?«, fragte ich verlegen.
    »Keine Sorge«, sagte sie nur. »Du hast dich nicht verraten. Wenn ich es mir nicht schon so lange wünschte, hätte ich bestimmt nichts gemerkt.«
    Ich schluckte. »Ist das wahr, du … du wünschst dir das?«
    Amanda hob eine Augenbraue. »Aber er ist doch hinreißend, oder nicht? Warmherzig, gescheit, humorvoll … herrje, ich bin beinahe selbst in ihn verliebt, wenn ich darüber nachdenke. Hoppla! Frances! Mein Haar!«
    »Ich liebe dich, Mum.« Ich schlang die Arme um ihren Nacken. Wir konnten uns nicht einigen, welche von uns jetzt größer war; Amanda behauptete, selbstverständlich sei es immer noch sie, aber ich war überzeugt, dass sie heimlich auf den Zehenspitzen gewippt hatte, als wir Matthew um die Messung baten! Und richtig: Als sie ihre Stirn an meine legte, stellte ich fest, dass wir in Wirklichkeit gleich groß waren, ganz genau gleich groß.
    »Ich weiß, dass du mich liebst«, sagte sie leise. »Ich sehe es jeden Tag. Es zählt zu dem Schönsten, was mir in meinem Leben passiert ist.«
    Das Elysée hatte allen Luftangriffen getrotzt, als wüsste es, wie vielen Menschen es im Laufe der Jahre Lebensgrundlage zu sein hatte: erst den Shepards und mir, dann Walter und nun Onkel Erik. Mit der Zeit war es ein wenig schäbig geworden, der weiche rote Teppich ausgetreten, der Putz durch die Erschütterung naher Bombeneinschläge an vielen Stellen von den Wänden gerieselt. Mehrere lange Setzrisse zogen sich durchs Foyer und die Decke im Vorführsaal hatte feuchte Flecken. »Wenn wieder Frieden ist, werden wir ein paar Wochen

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