Liz Balfour
beruhigend und streichelte sanft meine Schulter. »Welches Angebot liegt denn vor?«, fragte er die Anwältin, und ich schnappte entrüstet nach Luft.
»Ein britischer Investor«, antwortete Irene Murphy. »Er hat auch bereits einige der umliegenden Grundstücke erworben. Geplant ist eine Art Ferien- und Wellnessressort, was sich schlimmer anhört, als es ist. Er hat Deirdre seine Pläne ausführlich präsentiert: Es wird kleine Ferienhäuser geben, keine großen Hotels. Alles wird im historischen Stil, der zur Gegend passt, gebaut. Die gewachsene Dorfstruktur von Myrtleville soll genutzt und so weit es geht integriert werden, die Infrastruktur verbessert. Die Arbeitsplätze, die für die Region geschaffen werden, sind nicht zu unterschätzen. Vielleicht sollten Sie sich mit dem Mann einmal treffen.«
»Wenigstens keine Lachsfarm«, sagte ich. »Und das wollte Deirdre wirklich?«
Die Anwältin nickte.
Mir fielen mit einem Mal die komischen Andeutungen ein, die sie vor wenigen Wochen gemacht hatte. Nur hatte ich sie damals nicht verstanden. Auf ihren neuen Kühlschrank angesprochen, hatte sie gesagt: »Wenn ich hier ausziehe, nehme ich ihn mit.« Und als sie mich nach Kindern gefragt hatte: »Ich frage doch nur wegen Emerald Cottage.« Jetzt erst verstand ich sie. Jetzt erst verstand ich auch ihre Frage nach Enkelkindern. Sie hatte bei meinem Besuch bereits gedacht, sie würde bald sterben. Darüber hatte sie also mit mir reden wollen! Aber wie üblich
hatten wir es nicht geschafft. Wie musste sie sich nur gefühlt haben mit dieser Angst, bald nicht mehr am Leben zu sein, ohne darüber reden zu können? Und nun war ihr tatsächlich etwas zugestoßen.
»Ich weiß, es ist alles etwas viel auf einmal, aber das Cottage zu verkaufen bedeutet nicht gleichzeitig, dass du deine Mutter aufgibst. Lass uns in Ruhe nachdenken, okay?«, sagte Benjamin, der Vernünftige.
Ich nickte. »Ja, du hast recht. Ich brauche etwas Zeit. Ist das in Ordnung?«, richtete ich mich an Dr. Murphy.
Sie nickte und legte mir weitere Unterlagen hin. »Sehen Sie sich das alles in Ruhe an, und melden Sie sich, wenn Sie Fragen haben. Jederzeit.«
Nachdem sie gegangen war, erschien mir das Haus nicht mehr so fremd und leer wie vorher. Es war ihre Anwesenheit, die mich gestört hatte. Nicht, dass mir die Frau unsympathisch gewesen wäre, und bei näherer Betrachtung hatte sie sehr vernünftig und lediglich im Interesse ihrer Mandantin gehandelt. Das konnte ich ihr kaum zum Vorwurf machen. Dass sie mich aber wie einen Eindringling, einen Fremdkörper betrachtet und dementsprechend auch behandelt hatte, ganz so, als hätte ich mit Deirdre überhaupt nichts zu tun, das hatte mich tief verletzt. Der unausgesprochene Vorwurf, ich hätte mich nicht genug für meine Mutter interessiert, hatte die ganze Zeit im Raum gestanden. Dass ich weder über ihre Verkaufspläne informiert war noch wusste, dass sie Pferde besaß, hatte ihr Bild von mir als der nachlässigen Tochter nicht gerade revidiert.
Benjamin studierte die Papiere. »Das Neubebauungskonzept liest sich sehr gut.« Erst als er aufsah, bemerkte
er die Tränen in meinen Augen. Er stand auf und nahm mich in die Arme. »Wollen wir an die Luft? Das Wetter ist wundervoll, und ich würde mir gerne die Gegend von dir zeigen lassen, in der du aufgewachsen bist. Bisher hast du dich immer erfolgreich davor gedrückt.«
Ich musste lächeln, trotz der Tränen. »Ich könnte dir meinen Lieblingsplatz zeigen.«
Deidre, Liebste,
komm zurück zu mir! Verzeih mir. Es war dumm und falsch, was ich getan habe.
Natürlich muss ich mich um meine Kinder kümmern, natürlich muss ich für sie da sein, aber um diesen Preis? Können sie jemals glücklich sein, wenn ich es nicht bin? Sie wachsen auf mit Eltern, die entweder streiten oder nicht miteinander reden. Ich habe kaum Kraft, mich auf sie einzulassen, mit ihnen zu spielen, ich kann mich nicht auf die Geschichten konzentrieren, die ich ihnen erzählen soll, ich habe sogar den Geburtstag der Zwillinge vergessen.
Sieht so ein guter Vater aus? A ber ich kann einfach nicht mehr. Ich schaffe es einfach nicht, ein fröhliches Gesicht zu machen, wenn ich doch am liebsten…
Sie würden ihren Vater nicht verlieren. Es wäre nur alles etwas anders aber deshalb doch nicht schlechter als jetzt. Ich würde sie seltener sehen, aber ich wäre ein glücklicherer Mensch, ein besserer Vater. Sie verdienen einen besseren Vater.
Ich wache morgens auf und sehne mich nach dir. Ich
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