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Liz Balfour

Liz Balfour

Titel: Liz Balfour Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ich schreib dir sieben Jahre
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überhaupt keinen Grund, mich dieser Sache in den Weg zu stellen. Diese Gedanken gaben mir Ruhe und Energie, aber ich war froh, mich noch nicht sofort entscheiden zu müssen.
    Ich sah auf die Uhr: Es war noch nicht sehr spät, und ich wusste, dass ich vor Mitternacht sicher nicht schlafen konnte. Also besann ich mich auf den ursprünglichen Grund meines Kommens und durchforstete das Haus nach Dingen, die ich Deirdre ins Krankenhaus mitnehmen konnte.
    Langsam streifte ich durch die Räume, und das Kind in mir streckte die Hand aus, wann immer es etwas von früher entdeckte: Die selbst gehäkelten bunten Topflappen in der Küche, die Deirdre immer noch benutzte. Die
Tischlampe mit dem grünen Glasschirm, die schon ihrer Großmutter gehört hatte und die, seit ich mich erinnern konnte, auf dem Kühlschrank stand. Der silberne Kerzenständer auf dem Esstisch, der bei keiner Mahlzeit fehlen durfte, selbst wenn die Sonne den Raum flutete. Die Kerben im Esstisch. Der Stoff der Sessel. Das Muster im Teppich.
    Sie hatte kaum etwas verändert in den vergangenen zwanzig Jahren, und trotzdem wirkte die Einrichtung nicht schäbig und abgenutzt. Ich dachte an die kleine Bucht unten am Meer, in der sich die Zeit aufhob. Vielleicht wirkte dieser seltsame Effekt bis hoch zum Cottage. Merkwürdig, dass mir bei meinen Besuchen nie aufgefallen war, wie wenig alles gealtert war. Ich hatte es wie selbstverständlich hingenommen, dass alles einfach aussah wie immer.
    Mir war, als hörte ich ein Geräusch, ein Knarren der Tür. Ich drehte mich um und glaubte, meine Mutter dort stehen zu sehen. Das Trugbild verschwand, aber der Eindruck, dass auch Deirdre sich kaum verändert hatte, entstand in meinem Kopf. Ich stellte sie mir vor, wie sie mit geschlossenen Augen regungslos im Krankenbett lag, das Gesicht glatt und ohne Alter.
    »Sie haben aber eine junge Mutter«, hatte ein Arzt gestern im Vorbeigehen zu mir gesagt. Und eine der Krankenschwestern hatte gedacht, sie hätten Deirdres Geburtsdatum falsch notiert. »Hoffentlich haben Sie diese Gene von ihr geerbt«, hatte sie gesagt, als ich ihr versicherte, dass mit dem Datum alles in Ordnung sei.
    Ich stieg die Treppe hinauf und betrat zum ersten Mal seit zwanzig Jahren ihr Schlafzimmer. Das Elternschlafzimmer
war irgendwann für mich tabu gewesen. Niemand hatte mir verboten, es zu betreten, aber seit sie mich nach London geschickt hatten, war die kindliche Unbefangenheit gewichen, mit der ich früher in dieses Zimmer geplatzt war, um aufs Bett meiner Eltern zu springen. Das Leben in London bei Siobhan und ihrer Familie wie auch das Leben im Internat hatten mich erst richtig gelehrt, was Privatsphäre bedeutete. Die Distanz zu meinen Eltern wuchs.
    Ich blieb erst einmal stehen und ließ den Raum auf mich wirken. Es war das einzige Zimmer, das Deirdre renoviert und neu eingerichtet hatte. Statt des alten, massiven Doppelbetts, in dem sich meine Eltern auseinandergelebt hatten, stand dort ein schlankes weißes Bett mit einer hellen Tagesdecke. Der große dunkle Kleiderschrank war einem ebenfalls weißen zierlichen Schränkchen gewichen. Daneben fand sich eine Kommode mit einem großen Spiegel. Am Bett stand ein zu den anderen Möbeln passender Nachttisch. Darauf fand sich ein moderner Radiowecker, ein aufgeschlagenes Buch lag daneben. An der Wand hatte sie eine Leselampe mit einer Messingfassung angebracht, und auch die Hängelampe hatte sie ausgetauscht: Das mit Stoff bezogene, beigefarbene Ungetüm von Lampenschirm war einer weißen Glaskugel gewichen. Ganz zuletzt bemerkte ich erst den Teppichboden: ebenfalls neu, ebenfalls anders. Nicht mehr grau, sondern leuchtend rot.
    Wann hatte sie das Schlafzimmer neu machen lassen? Nach dem Tod meines Vaters? War es nötig gewesen, damit sie schneller über den Schmerz hinwegkam? Behutsam, so als könnte ich jemanden stören, der hier gerade
schlief, ging ich zum Fenster und sah hinaus. Diese Seite des Cottage lag direkt an der Steilküste. Man sah nichts weiter als das Meer. Als Kind hatte ich mich immer ein wenig davor gefürchtet, mich hier ans Fenster zu stellen, wenn es offen war, weil ich dachte, der Wind könnte mich heraustragen und direkt ins Meer schleudern. Ich wandte mich zum Nachttisch und nahm das aufgeschlagene Buch in die Hand: ein Gedichtband von Sylvia Plath. Und ich las ihr im Krankenhaus Kriminalromane vor! Ich ging zu der Kommode und zog die Schubladen auf: Unterwäsche in der obersten, Socken und Strümpfe in der mittleren,

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