Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Liz Balfour

Liz Balfour

Titel: Liz Balfour Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ich schreib dir sieben Jahre
Vom Netzwerk:
quäle mich durch den Tag und sehne mich nach dir. Ich warte auf die Nacht, in der ich endlich von dir träumen kann.
    Immer öfter träume ich auch tagsüber von dir. Ich sehe dich vor mir, wenn ich die Augen schließe. Die Tage sind dumpf und leer, die Nächte mein wahres Leben, weil ich mich zu dir träumen kann.
    Bitte, schreib mir. Schick mir ein Lebenszeichen.
    Dein M.

11.
    Wir kletterten zu der kleinen Bucht am Fuße der Steilküste, in der ich bei meinem letzten Besuch in Emerald Cottage einige verwirrende nächtliche Stunden mit Nachdenken verbracht hatte. Der Ort hatte auch bei Tag etwas Magisches. An ihm stand die Zeit still, oder nein: Hier war es möglich, in der Zeit zu reisen. Nichts deutete daraufhin, in welchem Jahr, in welcher Epoche wir lebten. Ich erwartete jedes Mal, gleich eins der Schiffe an mir vorbeifahren zu sehen, die im 19. und frühen 20. Jahrhundert Millionen irische Auswanderer auf der Flucht vor der Hungersnot nach Nordamerika und Australien gebracht hatten.
    Der freie Blick auf das Meer ließ mein Herz ruhiger schlagen. Heute war die Bucht komplett windstill, die Mittagssonne schien so heiß auf uns herab, dass wir uns einen Platz im Schatten suchen mussten. Ich atmete tief die reine, salzige Seeluft ein. Und mit der Seeluft kamen die Erinnerungen an Eoin. Die Party in Cork. Wie er mit Deirdre an ihrem Krankenbett gesprochen hatte. Das getriebene Pferd. Hatte dieser Mann zwei Gesichter? Oder war er einfach nur ein guter Schauspieler? Ich schämte mich, wegen ihm jemals Zweifel an meiner Beziehung mit Benjamin gehabt zu haben. Und doch sah ich uns
zusammen tanzen und hörte die Musik von damals so klar, als liefe sie gerade neben mir im Radio.
    Ich riss mich von den Gedanken los und wandte mich meinem Mann zu. »Gefällt es dir hier?«
    »Genau so habe ich es mir immer vorgestellt«, seufzte er zufrieden. »Die Idee, diesen wunderbaren Flecken Erde zugänglicher für Touristen zu machen, kann ich nur voll und ganz unterstützen. Schade, dass ich nicht länger bleiben kann. Am liebsten würde ich jeden Tag hier mit dir rausfahren und für ein paar Stunden alles vergessen.«
    Ich ließ meinen Kopf auf seine Schulter sinken. »Tina kann mich vertreten, nicht wahr? Simon Simm war sowieso eigentlich ihr Projekt.«
    »Jetzt vertretet ihr euch gegenseitig, und jedes Mal ist es wegen kranker Eltern«, sagte Benjamin nachdenklich. »Na, irgendwann ist man wohl an der Reihe, das zurückzugeben, was sie einem in der Kindheit gegeben haben.«
    Ich biss mir auf die Lippen, weil ich nicht sagen wollte: »Was haben mir meine denn schon gegeben?« Nicht jetzt, nicht heute. Auch wenn ich immer noch gekränkt war wegen vielem, so wollte ich doch für Deirdre da sein. Ich hatte mir jahrelang vielleicht einreden können, dass es mir nicht mehr wichtig war, was sie von mir dachte, aber angesichts dieser Katastrophe, angesichts der Möglichkeit, dass sie einfach sterben könnte, ohne dass wir uns ausgesprochen und voneinander verabschiedet hatten, musste ich einsehen, wie sehr ich sie letzten Endes doch brauchte.
    Benjamin hatte für heute Nachmittag einen Flug nach London gebucht. »Was ist mit unserem Kanadaurlaub? Soll ich canceln?«

    Ich nickte. Aber dann durchzuckte mich ein Gedanke: Gab ich sie auf, wenn ich den Urlaub absagte? Rechnete ich denn damit, dass sie in einer Woche immer noch im Koma liegen würde? »Nein«, sagte ich deshalb. »Noch nicht. Bestimmt wird sie ganz bald wach, und dann …« Ich sah ihn mit tränennassen Augen an. »Sie wird doch wieder aufwachen, oder?«
    Benjamin nahm mich in den Arm. »Natürlich wird sie wieder aufwachen. Und dann will sie, dass du ganz oft bei ihr bist. Denkst du nicht?«
    Er hatte recht. Ich musste bleiben. Und es wäre ganz sicher kein schlechtes Omen, Kanada abzusagen. »Okay«, sagte ich leise. »Wir verschieben die Reise.«
    Nachdem ich Benjamin zum Flughafen gefahren hatte, verbrachte ich wieder viele Stunden an Deirdres Bett. Ich las ihr aus einem Buch vor, träufelte etwas von dem Parfum, das Benjamin aus dem Cottage mitgebracht hatte, auf ihr Kissen, spielte ihr leise Musik vor. Nach Mitternacht weckte mich die Nachtschwester. Ich kehrte ins Hotel zurück, schlief nur wenige Stunden und saß am nächsten Morgen wieder in ihrem Zimmer. Diesmal schickten sie mich schon am frühen Abend weg. Sie hatten Angst, dass ich zu wenig Ruhe bekam, und als ich auf der Krankenhaustoilette mein bleiches, schmales Gesicht mit den dunklen Schatten unter den

Weitere Kostenlose Bücher