Liz Balfour
Augen im Spiegel sah, konnte ich sie verstehen. Der Gedanke, allein in meinem Hotelzimmer zu sitzen, erschreckte mich. Ich beschloss, zum Cottage rauszufahren und nach dem Rechten zu sehen. Vielleicht würde ich noch etwas finden, das ich Deirdre mit ins Krankenhaus bringen konnte. Vielleicht würde ich sogar etwas finden, das mich Deirdre näherbrachte.
Als ich in langsamem Tempo auf das Cottage zufuhr, erkannte ich Eoins Defender, der hinter einem anderen Auto auf der Straße geparkt stand. Ich holte tief Luft. Auf diese Begegnung war ich nicht gefasst. Gerade als ich überlegte, ob ich umdrehen und später zurückkehren sollte, sah ich Eoin und einen zweiten Mann, der heftig auf ihn einredete. Eoin drehte ihm den Rücken zu und ging mit schnellen Schritten zu seinem Wagen, dann fuhr er mit aufheulendem Motor fort. Der fremde Mann blieb unschlüssig vor Emerald Cottage stehen. Ich ließ meinen Leihwagen an die Stelle rollen, wo Eoin bis gerade eben geparkt hatte, und stieg aus.
»Kann ich Ihnen helfen?«, fragte ich.
»Oliver Jenkins«, sagte der Mann und streckte mir zur Begrüßung die Hand entgegen. »Dr. Alannah Russell, hoffe ich?« Er war eine attraktive Erscheinung: Mitte fünfzig, graues, gut geschnittenes dichtes Haar, schlank und hochgewachsen. Jenkins trug trotz des sehr warmen Wetters einen maßgeschneiderten Anzug und schien dabei kein bisschen zu schwitzen. Seine Stimme klang nach einer Schulzeit in Eton, seine Krawattennadel verriet, dass er am King’s College in Cambridge seine Studienzeit verbracht hatte. Am rechten Handgelenk blitzte eine geschmackvoll-dezente Cartieruhr auf. Es stand außer Frage, wem ich gegenüberstand.
»Und Sie wollen mein Elternhaus kaufen?« Ich lächelte schwach und schüttelte seine Hand. »Meine Mutter hat leider nie mit mir darüber gesprochen. Ich weiß erst seit gestern davon und konnte mir noch keine Meinung bilden.«
»Deshalb bin ich hier«, sagte Jenkins.
»Um mich zu überreden?«
»Um Ihre Fragen zu beantworten, damit Sie genau wissen, worüber Sie nachdenken.«
Ich musste lachen. Dass dieser Mann mit seinem Charme die Investoren reihenweise um den Finger wickelte, war mir klar. Aber die vielen Jahre im Debating Club hatten mich auf jede Art verbalen Schlagabtausch vorbereitet, und spätestens in der Berufspraxis als Anwältin hatte ich gelernt, rechtzeitig zu erkennen, wann ich manipuliert werden sollte. Hätte ich diese Fähigkeiten doch auch, wenn es um Gefühle geht, dachte ich unvermittelt und sah in die Richtung, in die Eoin verschwunden war.
Ich bat Oliver Jenkins ins Cottage. Es kam mir merkwürdig vor, die Hausherrin zu geben. Bei dem Treffen am Vortag mit Dr. Murphy hatte ich mich gar nicht in dieser Rolle gesehen, da sie sehr dominant die Gesprächsführung übernommen und sich im Haus bewegt hatte, als ginge sie dort ein und aus. Aber nun war die Situation anders. Der Mann war ein Fremder, er war mein Gast, ich könnte ihn auch einfach wieder wegschicken.
Das Gespräch jedoch verlief sehr angenehm. Jenkins stellte sein Projekt fast schon bescheiden vor, zeigte mögliche Einwände bereits auf, bevor ich sie selbst formuliert hatte, gab mir Zeit, auf Gedankenspiele einzugehen und verlangte am Ende keine Entscheidung. Nur darüber nachdenken, mehr sollte ich gar nicht tun. Wir verabschiedeten uns nach zwei Stunden freundlich voneinander, und ich musste zugeben, dass er mich tatsächlich zum Nachdenken gebracht hatte. Wenn es wirklich Deirdres Wunsch war, das Cottage zu verkaufen, warum
sollte ich es nicht tun? Wenn sie sich wohler fühlte in einem kleinen Apartment in Cork, wo die Wege nicht so weit waren und im Notfall viel schneller Hilfe kam – war das nicht im Gegenteil eine sehr vernünftige Entscheidung, die ich als Tochter zu unterstützen hatte? Sicher hatte ich mich im ersten Moment gegen den Verkauf gesträubt, weil es um mein Elternhaus ging und damit um meine Kindheit. Ich hatte mit so vielem noch nicht abgeschlossen, und irgendwie dachte ich wohl, dass mir Emerald Cottage helfen könnte, innerlich Frieden zu finden. Das war natürlich Unsinn. Hier ging es nur um ein Haus. Der Verkauf würde außerdem nicht nur meiner Mutter guttun, sondern auch dem ganzen Dorf. Jenkins’ Konzept galt es noch zu überprüfen, aber auf den ersten Blick wirkte es sowohl seriös als auch sinnvoll. Es würde den Menschen der Region, die durch die Krise zum großen Teil wieder ohne Jobs dastanden, neue Möglichkeiten eröffnen. Nein, es gab
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