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Liz Balfour

Liz Balfour

Titel: Liz Balfour Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ich schreib dir sieben Jahre
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sie Sie braucht. Alles klar?«
    Ich nickte gehorsam und trank den Tee. Er schmeckte wirklich widerlich. Aber ich spürte auch, wie gut er mir tat. »Soll ich nicht hierbleiben, falls …« Ich wusste nicht,
wie ich den Satz beenden sollte und sah Schwester Trish hilflos an.
    »Kindchen, die haben gerade erst angefangen zu operieren. Und wenn Sie nicht gelernte OP-Schwester oder Herzchirurgin sind, können die Sie dabei nicht gebrauchen. So eine OP kann Stunden dauern, und dann kommt Ihre Mama wieder auf die Intensivstation und wird beobachtet. Da können die Sie auch absolut nicht gebrauchen. Das heißt, wenn Sie jetzt schön nach Hause gehen und sich ein anständiges Mittagessen machen oder noch mal eine Runde schlafen – so, wie Sie aussehen, haben Sie schon länger nicht mehr geschlafen –, haben wir alle was davon. Okay?«
    »Und was ist, wenn … etwas schiefgeht?«, fragte ich leise.
    Etwas wie Mitleid trat für eine Sekunde in ihren Blick. »Dann kommt’s auf die zehn Minuten, die Sie länger hierher brauchen, auch nicht mehr an.«
    Ich schluckte.
    »Es wird schon gut gehen«, sagte sie und drückte meine Schulter. Ich wusste, dass sie das allen Angehörigen sagte, aber es tat trotzdem gut, es zu hören.
    »Ich kann jetzt nicht gehen«, sagte ich.
    »Aber Sie können hier wirklich nichts tun.«
    »Ich weiß. Aber ich kann nicht gehen. Ich will einfach in ihrer Nähe sein.«
    Schwester Trish rollte mit den Augen, aber ich konnte spüren, dass sie es nicht so meinte. Es gehörte einfach zu der Rolle, die sie für sich in diesem Krankenhaus angenommen hatte: die joviale, handfeste Schwester mit Galgenhumor. »Na gut, Schätzchen. Gehen Sie in die
Cafeteria. Essen Sie was, versprechen Sie mir das? Und dann schieben Sie von mir aus ein paar Stühle zusammen und legen sich hin. Ich weiß ja dann, wo wir Sie finden. Ist das ein Kompromiss?«
    »Danke.«
    »Können Sie schon wieder aufstehen, ohne den sterbenden Schwan zu machen?«
    Ich konnte. Meine Knie fühlten sich zwar noch an wie aus Gummi, aber mir wurde nicht mehr schwarz vor Augen. Ich schaffte es auch ohne weitere Zwischenfälle in die Cafeteria, wo ich mich zwang, ein trockenes, geschmackloses Sandwich zu essen, das ich mit mehreren Tassen Kaffee runterspülen musste. Im Vergleich dazu war der Tee eine Offenbarung gewesen. Wie ich die Zeit herumbrachte, war mir ein Rätsel, aber irgendwann holte mich eine Schwester ab und brachte mich zu dem Arzt, der meine Mutter operiert hatte. Es war bereits sechs Uhr am Abend.
    Der Arzt wollte mir im Detail erklären, wie die Operation verlaufen war, aber ich unterbrach ihn.
    »Ist sie jetzt wach?«, fragte ich voller Hoffnung.
    »Nein.« Er wirkte gereizt. Dass er unterbrochen wurde, passierte ihm wohl nicht oft.
    »Aber sie wird wieder aufwachen?«
    »Keine Ahnung.«
    Ich hoffte inständig, dass er besser operierte, als er mit Angehörigen umging.
    »Und wie wahrscheinlich ist es, dass wieder so etwas passiert?«
    »Wir tun alles, um einen weiteren Infarkt zu verhindern«, sagte er und sah auf die Uhr. Ich war gut genug
erzogen, um zu wissen, was das bedeutete. Aber ich ließ mich nicht so schnell abwimmeln. Ich sagte ihm, dass ich zu ihr wollte, was ihm offenbar nicht passte, und wir einigten uns schließlich darauf, dass ich sie wenigstens kurz sehen durfte.
     
    Diesmal lag sie in einem anderen Raum. Deirdre wirkte noch dünner, noch zerbrechlicher, noch verlorener in den weißen Kissen und Decken, unter den Schläuchen und Kabeln als am Tag zuvor. Die vielen Geräte, die um sie herumstanden, füllten den Raum fast vollständig aus. Jedenfalls kam es mir so vor. Ist das nur noch ihre Hülle?, dachte ich und erschrak vor meinen eigenen Gedanken. Die Patientenverfügung schlich sich in mein Bewusstsein, die Formulierungen der Anwältin, »wenn sie nicht mehr selbst für sich sorgen kann«. War es schon so weit? Würde Deirdre nicht mehr für sich sorgen können, wenn sie aufwachte? Würde sie jemals aufwachen? Wie lange würde es dauern? Ich dachte daran, dass ich von Menschen gelesen hatte, die nach zwei Jahren aufgewacht waren. Oder die seit zehn Jahren im Koma lagen. Wie konnte das ein Körper aushalten? Was geschah in der Zeit mit dem Geist? Und wie lange konnte ich es aushalten, meine Mutter so zu sehen? War das überhaupt noch meine Mutter?
    Ja!, rief eine Stimme in mir. Sie ist noch da, irgendwo in diesem Körper, den die Maschinen zusammenhalten! Und je länger ich sie ansah, desto deutlicher konnte ich es

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