Liz Balfour
der Tierarzt, von dem Eoin gesprochen hatte. Vermutlich der, den ich versehentlich auch zum Tierquäler abgestempelt hatte.
»Das ist also unser Patient«, sagte er und nickte mir zu.
Eoin lachte, während er den Schimmel fest im Zaum hielt, damit dieser nicht wieder scheute. »Zwei Patienten sogar. Sie hat sich den Fuß verknackst. Ally, das ist Patrick.«
Ich nickte ihm ebenfalls zu.
»Haben wir uns nicht schon mal irgendwo gesehen?« Patrick strich sich nachdenklich über das Kinn. »Ah, ich weiß es wieder. Ich hätte dich fast nicht erkannt in trockener Kleidung.«
Ich lachte. »Geht mir umgekehrt genauso.«
»Wie ist das mit dem Fuß passiert?«, fragte er. Patrick war in Eoins Alter, etwas kleiner als dieser und mit einer Statur, als hätte er lange Jahre Rugby gespielt. Sein Auftreten hatte verdächtig viel von einer englischen Privatschule, auch wenn er mit einer deutlichen irischen Färbung
sprach. Erst hatte er sich wohl seinen Heimatakzent abtrainiert, und jetzt trainierte er ihn sich wieder an. Nur war es schwer, die Dinge loszuwerden, die man sich im Kindesalter so hart erarbeitet hat. Ich wusste genau, wovon ich sprach. Würde ich heute versuchen, wieder so zu sprechen wie die Menschen, die hier lebten, ich würde mich wie eine schlechte Parodie anhören.
»Ally wollte mir helfen, den Schimmel einzufangen«, sagte Eoin, bevor ich Patrick antworten konnte. Ich warf Eoin einen erstaunten Blick zu, und er zwinkerte mir gut gelaunt zu.
»Wie geht’s dem Pferd?«, fragte ich.
»Das weiß ich noch nicht«, sagte Patrick. »Wenn wir es in den Stall gebracht haben, sehe ich es mir in Ruhe an.«
»Keera kennst du ja schon vom Telefon. Sie taucht sicher auch gleich auf.«
»Bringt ihn mir«, tönte Keeras Stimme aus dem Anhänger. Die beiden Männer verschwanden mit dem Pferd. Ich fühlte mich reichlich überflüssig, weil ich nichts tun konnte. Andererseits waren die drei ein eingespieltes Team. Sie brauchten mich nicht. Also schloss ich die Augen und wartete.
Das sind also seine Freunde, dachte ich. Er muss ein wirklich netter Kerl sein, wenn er so gute Freunde hat. Wieder wunderte ich mich darüber, wie meine Meinung über Eoin von einem Extrem ins andere schlug. Doch am meisten beschäftigte mich immer noch unsere Begegnung vor sieben Jahren. Was, wenn er wirklich mein Halbbruder war? Wir hatten uns fast geküsst …
Eoin kam zurück und stieg in den Wagen. »Sie fahren
das Pferd zu meinem Gestüt. Hältst du noch durch, oder soll ich dich zu einem Arzt bringen?«
»Also wirklich, wenn ich schon zum ersten Mal in meinem Leben ein Pferd rette, will ich auch wissen, was weiter mit ihm passiert. Ich fahre mit!«
16.
Patrick trug mich in Eoins Haus. »Ich bin Tierarzt. Du glaubst gar nicht, was ich schon alles tragen musste.«
»Kühe, Schweine, Pferde …«, zählte ich kichernd auf.
»Wohl eher Kätzchen, Hamster und Meerschweinchen«, sagte Keera. Sie hatte etwas im Haus geholt und beeilte sich, an uns vorbei wieder in den Stall zu kommen.
»Ist sie immer so?«, fragte ich Patrick, nachdem er mich im Wohnzimmer in einen grünen Clubsessel aus den Fünfzigerjahren gesetzt hatte, für den Eoin über die einschlägigen Internetauktionshäuser viel Geld bekommen könnte. Die gesamte Einrichtung schien noch von seinen Großeltern zu sein, war aber in hervorragendem Zustand. Entweder wurde hier alles sehr gut gepflegt, oder die Familie nutzte das Wohnzimmer schon seit Jahrzehnten nur zu besonderen Anlässen. Ich fühlte mich wie in einem Museum für Designklassiker der Nachkriegszeit, Abteilung 1950-1959. Ich liebte es sofort.
»Sie verträgt keine schönen Frauen in Eoins Nähe«, grinste Patrick. Er hatte Eiswürfel und ein Geschirrtuch aus der Küche geholt. »Ich habe es übrigens auch lieber, wenn die schönen Frauen in meiner Nähe sind.«
Ich lief rot an, etwas, das mir in letzter Zeit scheinbar
öfter passierte. Sogar meine Ohren wurden ganz heiß. »Aber Eoin und ich, wir … äh … kennen uns doch fast gar nicht. Er kennt meine Mutter«, stammelte ich.
»Ich weiß das. Aber Keera …« Er winkte ab, kniete sich vor mich und sah sich meinen Knöchel an.
»Du kannst froh sein, dass du kein Pferd bist.«
»Das bin ich jeden Tag«, behauptete ich. »Warum?«
»Weil wir dich sonst erschießen müssten.« Er berührte leicht den Knöchel, und ich schrie vor Schmerz. »Aha.«
Ich rang um Atem. »Bevor du das noch mal machst, möchte ich doch lieber erschossen werden«, keuchte
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