Liz Balfour
Betäubung, damit ich die Schmerzen der nächsten Untersuchungen nicht spürte. Am frühen Nachmittag stand die Diagnose endlich fest: Eines der Außenbänder war angerissen, das Gelenk dadurch nicht mehr ganz stabil.
»Das darf nicht wahr sein«, stöhnte ich. »Ausgerechnet jetzt. Ich muss mich doch um so vieles kümmern!«
»Das können Sie auch«, sagte die Ärztin, die mich untersucht hatte. »Falls es mit Bewegung verbunden ist, wird es nur eben etwas länger dauern. Den wenigsten Leuten schadet es übrigens, wenn sie ein bisschen langsamer machen.« Sie warf noch einen prüfenden Blick auf ihre Unterlagen, dann wandte sie sich einer Schwester zu und besprach mit ihr, wie mein Fuß zu fixieren war.
Während der ganzen Zeit wartete Eoin geduldig. Er sah nicht auf die Uhr, er kontrollierte nicht, ob er Nachrichten auf dem Handy verpasst hatte, er saß einfach nur da und wartete. Ich hatte ihm mehr als einmal die Möglichkeit gegeben, sich zurückzuziehen, indem ich fragte, ob er sich nicht um die Pferde kümmern (er hatte offenbar Mitarbeiter, wie ich erfuhr) oder anderen Pflichten nachgehen müsste. Eoin blieb, ließ sich von der Schwester den Stützverband erklären und half mir bei meinen ersten Versuchen mit den Krücken umzugehen.
»Irgendwie fühle ich mich für deinen Unfall verantwortlich«, sagte er zu meinem Erstaunen, als er mir in den Aufzug half. Wir fuhren zur Intensivstation, wo Deirdre lag.
»Das ist wirklich Unsinn! Wie kommst du denn darauf? Ich könnte es verstehen, wenn du mich über den Haufen gefahren hättest, aber ich bin ganz allein von der Mauer gesprungen, ohne darüber nachzudenken, dass direkt dahinter die Steilküste beginnt. Dabei hätte ich es besser wissen müssen. Schließlich bin ich hier aufgewachsen. «
»Tja, aber du lässt offenbar keine Gelegenheit aus, es
so aussehen zu lassen, als wäre Irland für dich ein bislang unentdeckter Planet.« Eoins Bemerkung tat weh, und er schien es sofort zu spüren. »Okay, ich hab schon bessere Witze gemacht«, fügte er zerknirscht hinzu. »Liegt wohl daran, dass ich heute noch nichts gegessen habe.«
Schuldbewusst stützte ich mich auf meine Krücken. »Dann lass uns erst etwas essen.«
Er schüttelte den Kopf. »Erst Deirdre.«
»Sicher?«
Er nickte und lächelte. Ich humpelte weiter.
»Jetzt weiß ich immer noch nicht, warum du dich für meine eigene Dummheit verantwortlich fühlst«, bohrte ich.
Er überlegte einen Moment, bevor er antwortete. »Weil ich das Gefühl habe, dass wir einen schlechten Start hatten. Ich wusste von Anfang an eine ganze Menge über dich, und du gar nichts über mich. Ich hätte mich einfach vernünftig vorstellen sollen. So musstest du ja einen völlig falschen Eindruck von mir bekommen.« Er sah mir direkt in die Augen. »Ich hatte wohl gehofft, du würdest dich sofort an mich erinnern. Nicht erst Wochen später.«
Ich musste lachen, aber es war mehr, um meine Verlegenheit zu überspielen. Lass ihn nicht zu nah an dich rankommen, dachte ich, du weißt immer noch nicht, wie ihr zueinander steht. »Und du dachtest, nur weil wir vor Jahren ein bisschen zusammen getanzt haben, weiß ich hundertprozentig, dass du ein guter Kerl bist?«
Er öffnete den Mund, um etwas zu sagen, überlegte es sich dann aber anders. Da war etwas in seinem Blick, in seinem Gesicht, das mich zusammenzucken ließ. Es war nur für einen kurzen Moment sichtbar, aber es war so
intensiv, dass ich endlich verstand: Für ihn war es damals mehr gewesen als nur ein wenig tanzen. Hatte nicht nur ich anschließend schlaflose Nächte gehabt, sondern auch er? Wie musste es für ihn gewesen sein zu erfahren, dass ich geheiratet hatte? Oder war ich ihm zu diesem Zeitpunkt schon wieder egal gewesen? Warum sah er mich dann so an, dass ich die Spannung zwischen uns mit Händen greifen konnte? Er weiß absolut nichts über Deirdre und seinen Vater, dachte ich. Aber sollte ich es ihm sagen? Sollte ich nicht abwarten, bis ich wirklich alles darüber wusste?
Trish, die resolute Krankenschwester, kam gerade rechtzeitig, um uns beide nicht weiter in Verlegenheit zu bringen. Sie begleitete uns zu meiner Mutter, wo wir mit gezwungener Fröhlichkeit drauflos plapperten.
Aber meine Gedanken kreisten um Eoin, um die Briefe. Ich musste sie unbedingt weiterlesen, um herauszufinden, wer mein Vater war. Wer ich war.
»Jetzt muss ich aber wirklich was essen«, sagte Eoin. Er hatte der schlafenden Deirdre von so ziemlich jedem im Dorf minutiös
Weitere Kostenlose Bücher