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Liz Balfour

Liz Balfour

Titel: Liz Balfour Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ich schreib dir sieben Jahre
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Mutter und meinen Geschwistern, und bei den meisten Erinnerungen kann ich mir nicht sicher sein, ob sie real sind oder ob ich sie mir nachträglich erträumt habe, zusammengetragen aus dem, was man mir von ihm erzählt hatte.«
    »Woran ist er denn gestorben? Hatte er einen Unfall?«, fragte ich.
    Eoin schüttelte den Kopf. »Mutter sagte uns: Euer Vater kommt nicht mehr wieder. Wir saßen zusammen im Wohnzimmer, sie betete mit uns, dann weinte sie – weinten wir! Einen Tag später ging sie mit uns in die Kirche
und zündete Kerzen für unseren Vater an. Es gab keine Beerdigung, und wir gingen zu keinem Grab. Es dauerte eine Weile, bis mein älterer Bruder Séamus danach fragte. Da sagte Mutter: Es gibt kein Grab, er ist viel zu weit weg dafür. Wir wollten es verstehen, aber es war sinnlos. Aus ihr war nichts herauszubekommen. Aber dann, zwei Jahre später, gab es eine Beerdigung und ein Grab. Daran erinnere ich mich genau: Unser Haus war voll mit Leuten, die ich noch nie gesehen hatte. Alle trugen sie Schwarz und sprachen leise. Oben im Schlafzimmer stand ein Sarg. Erst wollte Mutter nicht, dass wir in das Zimmer gingen, aber Séamus, zu der Zeit gerade in der Pubertät, erklärte ihr lautstark, dass er sich von so einer gemeinen Lügnerin wie ihr nichts mehr verbieten ließe. Er ist jahrelang nicht darüber hinweggekommen, dass sie uns angelogen hat. Ich habe sie verstanden, als sie sagte, dass Martin für sie gestorben war. Aber Séamus hat unseren Vater sehr geliebt, er kannte ihn von uns allen am besten. Jedenfalls packte mich mein Bruder am Arm und schleppte mich die Treppe rauf zum Schlafzimmer, und da lag er dann, bleich und steif und gar nicht wie der Mann, an den ich mich erinnern wollte.«
    Ich schluckte. »Wie ist er gestorben?«, fragte ich wieder.
    »Ich weiß es bis heute nicht. Meine Mutter sagte immer nur, er hätte einen Unfall gehabt. Sein Leichnam war bis zum Hals mit einem Tuch zugedeckt, obwohl am Hals der Kragen eines Anzugs herauslugte. Wir erfuhren, dass er in der Zeit, in der wir ihn bereits für tot hielten, bei seiner Schwester in Nordirland war.«
    »Und deine Mutter wusste das?«

    Eoin nickte.
    »Warum hat sie nichts gesagt?«
    Er hob die Schultern. »Es war für uns Kinder unerträglich. Wir wollten natürlich Antworten, aber wir sahen auch, wie sehr unsere Mutter litt. Wir verstanden allmählich, dass sie nicht darüber sprechen konnte . Sie brachte es einfach nicht über sich. Und schließlich hörten wir auf, Fragen zu stellen. Meine Geschwister gingen alle früh ins Ausland, nur ich blieb. Mutter starb, als ich zwanzig war. Ich übernahm das Gestüt. Ende der Geschichte.«
    Ich wusste, dass wir noch lange nicht mit dieser Geschichte fertig waren. Sie fing wahrscheinlich gerade erst an.
    »Seit wann bist du mit Deirdre befreundet?«, wollte ich wissen, obwohl ich die Antwort bereits ahnte.
    »Meine Mutter war schon ein gutes Jahr tot, als sie auf dem Hof auftauchte und fragte, ob ich ihr helfen könnte. Sie hatte ein paar alte Pferde in Pflege genommen, ehemalige Rennpferde. Deirdre fragte mich, ob sie sie bei mir unterstellen könnte. Seitdem kennen wir uns. Sie hat immer wieder ausgediente Tiere aufgenommen und bei mir Stellplätze gemietet. Bis heute. So freundeten wir uns über die Jahre an.«
    »Ihr wart schon vorher so etwas wie Nachbarn. Aber da gab es keinen Kontakt?«
    Er schüttelte den Kopf. »Meine Mutter wollte mit den Sullivans nichts zu tun haben. Alte Familienstreitigkeiten, sagte sie.« Er sah mich an. »Da hat sie mich auch angelogen, vermute ich?«
    »Familienstreitigkeiten kann man es möglicherweise auch nennen«, sagte ich und bereute sofort meine trockene
Bemerkung. Schnell fügte ich hinzu: »Offenbar hat sie von Deirdre und deinem Vater gewusst.«
    »Was weißt du über die beiden?«
    »Sie müssen sich einmal sehr geliebt haben«, sagte ich nur.
    Sollte ich ihm sagen, was ich dachte? Eoin war 1975 geboren worden. Wie würde er es aufnehmen, dass sein Vater Martin im Jahr zuvor versucht hatte, sich von Deirdre zu lösen? Und offenbar mit seiner Frau ein weiteres Kind gezeugt hatte, um sich den Weg zu Deirdre endgültig zu verbauen? Dass Eoin kein Kind der Liebe war, sondern der Versuch, eine andere Frau zu vergessen? Es hatte nicht funktioniert. Die Briefe zeigten, dass Martin, oder Naoise, wie er für Deirdre hieß, weiter um ihre Liebe gekämpft hatte. Obwohl er immer noch nicht bereit gewesen war, mit ihr durchzubrennen, hatte Deirdre ihn mit offenen

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