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Liz Balfour

Liz Balfour

Titel: Liz Balfour Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ich schreib dir sieben Jahre
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verlassen hatte, um dann wieder dorthin zurückzukehren? Wenn ich es nur wüsste … Ob Eoin wusste, wie recht er damit hatte, wenn er sagte, dass ich meine Mutter nicht kannte? In der Tat kannte ich sie immer weniger, je mehr ich über sie erfuhr. Einfach, weil sich das Bild der Frau aus den Briefen so sehr von dem, das ich von meiner Mutter hatte, unterschied.
    Diese Frau, diese andere Deirdre, war fröhlich, leidenschaftlich, spontan und ungestüm gewesen. Sie hatte diesen Mann mit Haut und Haaren geliebt und war bereit gewesen, alles für ihn aufs Spiel zu setzen. Sie hätte sein uneheliches Kind bekommen und alle Konsequenzen auf sich genommen, nur um einen Teil von ihm in ihrer Nähe zu haben. Nein, diese Frau hatte nichts mit der immer etwas abwesend lächelnden, unverbindlichen, zurückgenommenen Deirdre gemein.
    Ich dachte darüber nach, was ich über die Ehe meiner Eltern wusste. Nicht das, was ich darüber angenommen hatte – nämlich, dass meine Mutter meinem Vater treu ergeben war und sich aufopfernd um ihn gekümmert hatte. Erinnerte ich mich, wie sie sich geküsst, umarmt, liebkost hatten? Inniges Händchenhalten? Eine beiläufige, zarte Berührung? Ein Kosewort? Nicht zum ersten Mal wurde mir bewusst, dass ich nie gesehen hatte, wie meine Eltern Zärtlichkeiten ausgetauscht hatten. Ich hatte es darauf geschoben, dass sie einer Generation angehörten, die so intime Gefühle niemals in der Öffentlichkeit zur Schau stellen würde. Aber je mehr Briefe ich las, desto klarer wurde mir, dass das nicht der Grund gewesen
sein konnte. Deirdre und Naoise mussten zwar aufpassen, keinen Bekannten in die Arme zu laufen, aber sie scheuten sich nicht davor, sich auf der Straße zu küssen und zu umarmen. Es passte nicht in mein Bild, dass meine Mutter mit einem verheirateten Mann und Familienvater ein Verhältnis gehabt hatte, meine irisch-katholische Mutter, von der ich dachte, es hätte nie einen anderen Mann als meinen Vater gegeben. So sehr konnte man sich täuschen.
    Hatte sie meinen Vater jemals geliebt? Oder hatte sie ihn erhört, um Naoise zu verletzen? War sie nur bei ihm geblieben, weil eine Scheidung in Irland damals nicht erlaubt gewesen war? Oder war es aus Pflichtgefühl gewesen? Aus schlechtem Gewissen? Was hatte eigentlich mein Vater von alledem gewusst?
    Die Erleichterung darüber, dass Eoin nicht mein Halbbruder war, erreichte mich kaum. Mir schwirrte der Kopf, weil es mir vorkam, dass mein ganzes Leben nur auf Lügen aufgebaut war. Lügen und Unausgesprochenem, und wer weiß, vielleicht noch aus so einigem Unaussprechlichen. Bevor der Whiskey ganze Arbeit leistete und meine Gedanken endlich in andere Bahnen lenkte, stahl sich die perfide Frage in meinen Kopf: Ob sie das Kind von Naoise mehr geliebt hätte als mich? Vielleicht war es die Angst vor der Antwort, die ich zu kennen glaubte, die mich dazu trieb, das Telefon zu nehmen und Eoin anzurufen.
    »Ich bin betrunken«, eröffnete ich das Gespräch.
    »Und das, bevor die Pubs geöffnet haben«, sagte er und klang fast schon beeindruckt. »Ich bin nüchtern, aber voller Pferdemist, falls es dich interessiert.«

    »Das ist schön. Sag mal, wusstest du, dass dein Vater mit meiner Mutter ein Verhältnis hatte?«
    Eoin lachte laut. »Ist heute der 1. April? Meine Güte, du bist ja wirklich betrunken!« Er lachte immer noch.
    »Ja, aber ich mein’s ernst. Die beiden hatten jahrelang ein Verhältnis. Ich hab die Briefe von deinem Vater gefunden. Und jetzt will ich von dir wissen, was dein Vater für ein Mensch war.«
    Es war still in der Leitung.
    »Hallo? Eoin?« Ich schüttelte das Handy. »Ist der Empfang so schlecht oder was?« Meine Zunge gehorchte mir nur noch sehr widerwillig.
    »Ich komm vorbei«, sagte Eoin. Danach war die Leitung wirklich tot.
     
    Kate hatte sich nach diesem Telefonat zum Schlafen in mein Bett gelegt, und Eoin überredete mich zu einem Ausflug an den Strand von Ringabella Bay. Die frische Seeluft tat mir gut und half mir, wieder klarer zu denken. Das seltsam schwebende Gefühl, das ich vom Alkohol bekommen hatte, hielt aber noch eine Weile an. Mir war gleichzeitig zu warm von der Sonne, die am späten Vormittag schon ihre volle Kraft zu haben schien, und zu kalt vom Wind. Die glitzernden weißen Kreise, die das Sonnenlicht auf die Meeresoberfläche zauberte, erschienen mir wie eine endlose Straße aus Diamanten und Perlen, die zum Horizont führte. Ich erinnerte mich, dass ich als Kind an den Schatz geglaubt hatte, der am

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