Lizenz zum Töten: Die Mordkommandos der Geheimdienste (German Edition)
Adoptivtochter stirbt in den Trümmern. Zwar dementierte die US-Regierung, der libysche Herrscher sei Ziel der Operation gewesen; später wurde allerdings bekannt, dass neun der 18 amerikanischen Maschinen, die am Angriff beteiligt waren, das Zelt, in dem Ghadafi normalerweise nächtigte, im Visier hatten. Sollte der Machthaber also gezielt getötet werden? Es muss damals im Nationalen Sicherheitsrat zu Diskussionen darüber gekommen sein, ob mit dem Angriffsbefehl nicht EO 12333 verletzt worden sei. Doch der US Army Judge Advocate General (JAG) wies dem Präsidenten später einen Argumentationsweg aus dieser Sackgasse: »Die Anwendung militärischer Schlagkraft in Friedenszeiten gegen einen bekannten Terroristen oder eine Terrororganisation ist nach dem internationalen Recht legitimiert als Selbstverteidigung und stellt keine Exekution dar.« Anders als Trujillo, Lumumba oder Castro sei Ghadafi nicht nur der Staatschef eines fremden Landes, sondern auch ein internationaler Terrorist. Diese Interpretation bestimmt die rechtliche und moralische Rechtfertigung der Vereinigten Staaten bis zum heutigen Tage. Sie besagt, dass im Krieg gegen den Terror alle Mittel erlaubt sind, auch gezielte Tötungen von Terroristen.
Der Absturz des Fluges Pan Am 103 über der schottischen Kleinstadt Lockerbie am 21. Dezember 1988 ging erneut auf das Konto des von Ghadafi gesponserten Terrorismus, war vielleicht auch Rache für den Tod seiner Adoptivtochter. Danach änderte sich die Bedrohungslage für die Vereinigten Staaten jedoch entscheidend: Als die Regierung George Bushs nach Saddam Husseins Invasion in Kuwait mehr als 30000 Soldaten in die Region, nach Saudi Arabien, Katar und Bahrein verlegten, betrachtete al-Qaida das als einen entscheidenden Grund, in den Dschihad zu ziehen – den heiligen Krieg gegen die Feinde des Islam und gegen eine jüdisch-amerikanische Verschwörung. »Der Feind marschierte in das Land unserer islamischen Gemeinschaft ein, verletzte ihre Ehre, vergoss ihr Blut und besetzte ihre Heiligtümer«, schrieb Osama bin Laden später in einem offenen Brief, den er als moralische Legitimation verstand für das, was kommen sollte.
Am 26. Februar 1993 explodierte in der Parkgarage des World Trade Centers in New York eine Autobombe. Sechs Menschen starben, mehr als eintausend wurden verletzt. Fast genau zwei Jahre später ging in Pakistan einer der Attentäter, Ramzi Ahmed Yousef, ins Netz, wurde an die Amerikaner ausgeliefert und zu einer Gefängnisstrafe von 240 Jahren verurteilt. Der in einem von bin Ladens Camps ausgebildete Yousef war bei dem Anschlag in Manhattan von seinem Onkel Khalid Sheikh Mohammed beraten und finanziert worden, dem späteren Chefplaner des Anschlags vom 11. September – auf das gleiche Zielobjekt. Der Scheich wurde in Katar gesichtet, verschwand aber im Untergrund, bevor er festgesetzt werden konnte.
1996 ordnete US-Präsident Bill Clinton eine Neuorganisation der Antiterrorpolitik an: Eine schlagkräftige Truppe von einem Dutzend CIA-Offizieren mit dem Decknamen »Alec Station« wurde gegründet, die sich ausschließlich damit befassen sollte, Informationen über bin Laden und al-Qaida zu beschaffen und einzuordnen. Schon bald wurden Zusammenhänge zwischen dem islamistischen Terrornetzwerk und Anschlägen auf US-Truppen in Aden (1992), Somalia (1993) und auf den Philippinen (1994/95) entdeckt. Die CIA-Spezialisten sammelten Hinweise und Nachrichten aus der ganzen Welt. Ihr Ergebnis im Jahre 1997: »Al-Qaida besitzt ein Militärkommando, das Operationen gegen amerikanische Interessen plant und versucht, an nukleares Material zu kommen.« Dann wurde in New York Anklage gegen bin Laden erhoben, und die CIA begann damit, den Terrorchef in Afghanistan aufzuspüren und festzunehmen. Dead or alive – tot oder lebendig. Doch ein geplanter Zugriff der CIA am 23. Juni 1998 musste wieder abgeblasen werden, weil hohe Regierungsbeamte ein »unvermeidliches Missverständnis« für den Fall befürchteten, dass bin Laden bei der Operation starb. Das würde vor der Weltöffentlichkeit so aussehen, als sei er zielgerichtet von den Amerikanern exekutiert worden. Diesen Eindruck gelte es zu vermeiden. Der Executive Order 12333, die zuletzt unter Reagan verschärft worden war, die Clinton aber unverändert gelassen hatte, wurde noch einmal Rechnung getragen.
Am 7. August 1998 kam es zu zwei verheerenden Bombenanschlägen gegen die amerikanischen Botschaften in Dar es Salaam/Tansania und Nairobi/Kenia;
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