Lloyd, Sienna
mir in acht. Nein, ich meinte, dass wir einen Artikel für die Titelseite der meistgelesenen Tageszeitung des Landes schreiben könnten. Und du könntest eine Kolumne übernehmen, die den Leuten hilft, besser mit ihrer Angst umzugehen. Ich würde dir dabei helfen.
- Gerne.
- Ich schlafe ja auch noch nicht, weil ich an den Artikel denken musste. Für mich ist das auch wichtig.
- Danke! Mel hat Recht. Du scheinst ein netter Typ zu sein.
- Das hat Spaghetti gesagt? Aha! Aber können wir jetzt mal von dem Porträt auf deinem Buch sprechen?
- Ach, hör damit auf. Ich finde das nicht so toll.
- Könnte ich ein anderes bekommen?
- Nicht möglich. Ich habe kein Foto von mir auf dem PC.
- Du hast doch eine Kamera am Computer? Mach ein Foto und schick es mir. Ich muss was überprüfen.
Ich setze mich vor der Webcam in Position und versuche älter zu wirken, indem ich ein ernstes Gesicht aufsetze. Meine Haare sind ganz strubbelig und ich habe dunkle Ränder unter den müden Augen. Außerdem rutscht mir der ausgeleierte, alte Pulli immer wieder von der Schulter. Ich schaffe es, Hugo ein einigermaßen gutes Foto zu schicken und warte gespannt ab, was er antworten wird. Ich weiß gar nicht, was mit mir los ist. Vielleicht ist es diese wahnsinnige Erschöpfung, die mich berauscht und die mich so mutig macht, dass ich mit einem vollkommen Fremden im Internet chatte.
Statt einer Antwort erhalte ich ein Foto von ihm mit den folgenden Worten:
„Damit du mich erkennst, wenn wir uns treffen.“
Er weiß ja nicht, dass ich ihn schon auf dem Foto von Mélanie gesehen habe, aber auf diesem hier, finde ich, dass er, trotz der schlechten Qualität, noch besser aussieht. Er sieht einfach ungewöhnlich aus. Auch er hat ganz strubbeliges Haar, trägt ein weites, helles T-Shirt und einen Schal.
- Ist es kalt bei dir, Hugo?
- Hast du keinen Kamm, Héloïse?
- Ha, ha, 1:0.
Ich betrachte das Foto noch genauer, besonders Hugos große, schwarze Augen, und entdecke auf dem Nachttisch hinter ihm, eine Ausgabe von
Die Schöne des Herrn
.
- Du liest
Die Schöne des Herrn
?
- Aha, du spionierst mich aus!
- Ich sehe mir das Foto nur genauer an. Ich bin halt ein neugieriger Mensch.
- Ich lese
Die Schöne des Herrn
immer wieder mal.
- Das ist mein Lieblingsbuch.
- Schön. Da haben wir ja etwas gemeinsam. Also, ich bin total kaputt. Sehen wir uns morgen Abend? Im Narval, wenn du willst.
- Gut, morgen Abend um sieben.
- Gute Nacht!
- Warte mal! Was wolltest du mit dem Foto überprüfen?
- Ob du so sexy bist, wie Mélanie gesagt hat.
Ich kann Hugo darauf nicht mehr antworten, weil er schon offline ist. Außerdem ... was hätte ich denn sagen können? Lächelnd gehe ich schlafen. Dieser Miniflirt hat mir gut getan, wenn auch mein letzter Gedanke wieder Gabriel gilt. Jeden Abend, seit fast hundert Tagen, denke ich vor dem Einschlafen an ihn.
***
„Mademoiselle ‚Hello Ise, die Geheimnisvolle, kommt aber spät nach Hause!“
Oh je! Ich hatte mir wirklich nicht träumen lassen um zwei Uhr morgens von meiner Verabredung mit Hugo nach Hause zu kommen und Rebecca lesend vorzufinden.
„Ja, ich habe den Abend mit Hugo Cagien von den
XL News
verbracht.“
„Oh! Ich verstehe. Ein Interview am späten Abend ...“
„Das Thema ist einfach unerschöpflich und unser Gespräch war total spannend.“
Rebecca tippt auf ihrem Handy herum und sagt dann:
„Dass der Abend spannend war, kann ich nachvollziehen. So wie der aussieht!“
Sie zeigt mir ein Foto von Hugo im Internet. Jippie! Weibliche Solidarität zwischen Gabriels Frau und mir hatte ich mir schon lange erträumt!!
„Stimmt. Er sieht gut aus.“
Sie schenkt mir eine Tasse Kaffee ein und ich sage mir, dass ich ja nichts zu verheimlichen habe.
„Wirst du ihn wiedersehen?“
„Das glaube ich nicht. Es ging ja nur um das Interview. Eine rein geschäftliche Angelegenheit.“
„Ach ja? Weißt du, worauf diese
‚geschäftlichen‘
Angelegenheiten hinauslaufen? Ich habe Gabriel bei so einer geschäftlichen Angelegenheit kennengelernt.“
Jetzt bloß nicht die Nummer vom Paar des Jahres!
Rebecca spricht weiter:
„Gestern hatten wir Hochzeitstag!“
„Herzlichen Glückwunsch!“
„Ich zeige es nur dir, ja ... Normalerweise ist das ja eine Sache zwischen Gabriel und mir ...“
„Was?“
Rebecca schiebt ihren Rock bis zum Oberschenkel hoch. Ich sehe peinlich berührt nach oben und als ich den Blick wieder senke, erfasst mein Auge eine Tätowierung in Form von
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