Lob der Stiefmutter
links, aufrecht stehend im Feld der schimmernden Brauntöne, der mit den sarazenischen Sichelmessern am Schädel, geschmückt mit einem Umhang glänzender Federn, zum Totem verwandelt, der mit den Spornen und dem rotbraunen Flaumhaar, der seinen Rücken zeigt und mich beobachtet, wer könnte das sein, wenn nicht du? Jetzt bist du eingetreten und hast dich in einen Betrachter verwandelt. Vor einem Augenblick noch warst du blind und lagst aufKnien zwischen meinen Schenkeln und entfachtest meine Feuer wie ein verächtlicher, eifriger Diener. Jetzt empfindest du Lust, während du meiner Lust zuschaust, und denkst nach. Jetzt weißt du, wie ich bin. Jetzt würdest du mich gerne in einer Theorie auflösen.
Sind wir schamlos? Nein, wir sind ganz und frei und könnten nicht irdischer sein. Man hat uns die Haut abgezogen und die Knochen aufgeweicht, man hat unsere Eingeweide und unsere Knorpel bloßgelegt, man hat alles ans Licht gebracht, was bei der Messe oder der Liebesvorstellung, die wir gemeinsam zelebriert haben, zum Vorschein kam, anschwoll, schwitzte und sich verströmte. Man hat uns die Geheimnisse genommen, mein Liebling. Das bin ich, Sklave und Herr, deine Opfergabe. Aufgeschlitzt wie eine Turteltaube durch das Messer der Liebe. Aufgerissen und pulsierend, ich. Saumselige Masturbation, ich. Honigseimiger Strahl, ich. Labyrinth und tastendes Fühlen, ich. Magisches Ovarium, Samen, Blut und Tau des Morgengrauens: ich. Das ist mein Gesicht für dich, in der Stunde der Sinne. Das bin ich, wenn ich mich für dich der Haut der Wochentage und der Feiertage entledige. Das mag vielleicht meine Seele sein. Ganz die deine.
Die Zeit steht natürlich still. Hier altern wir nicht, noch sterben wir. Ewig leben wir der Lust in diesem fahlen Licht der Dämmerung, das schon die Nacht schändet, erhellt von einem Mond, den unsere Trunkenheitverdreifacht hat. Der wirkliche Mond ist der in der Mitte, der rabenschwarze; die ihn eskortieren, von der Farbe trüben Weines, sind Fiktion.
Aufgehoben sind auch die altruistischen Gefühle, die Metaphysik und die Geschichte, die neutrale Urteilskraft, die guten Regungen und Werke, die Solidarität mit der Gattung, der staatsbürgerliche Idealismus, die Sympathie für den Artgenossen; alle Menschenwesen sind ausgelöscht, außer dir und mir. Es ist alles verschwunden, was uns im Augenblick der Liebe, der nichts anderes ist als der Augenblick des höchsten Egoismus, hätte ablenken oder beirren können. Hier ist nichts, was uns zügelt oder hemmt, wie nichts auch das Monstrum und den Gott zügelt oder hemmt.
Dieses triadische Gemach – drei Beine, drei Monde, drei Räume, drei Fenster und drei dominante Farben – ist die Heimat des reinen Triebes und der Phantasie, die ihm dient, so wie deine schlängelnde Zunge und dein süßer Speichel mir gedient und sich meiner bedient haben. Wir haben Namen und Vornamen verloren, Gesicht und Haar, die äußere Würde und die staatsbürgerlichen Rechte. Aber wir haben Magie, Mysterium und körperlichen Genuß gewonnen. Wir waren eine Frau und ein Mann, und jetzt sind wir Ejakulation, Orgasmus und eine fixe Idee. Wir sind heilig und obsessiv geworden.
Unser Wissen voneinander ist total. Du bist ich und du, und du bin ich und du. Etwas so Vollkommenesund Einfaches wie eine Schwalbe oder das Gesetz der Schwerkraft. Die lasterhafte Perversität – um es mit Worten zu sagen, an die wir nicht glauben und die wir beide verachten – wird durch jene drei exhibitionistischen Zuschauer in der linken oberen Ecke repräsentiert. Es sind unsere Augen, die Betrachtung, der wir uns so eifrig hingeben – wie du in diesem Augenblick –, die restlose Entblößung, die jeder vom anderen fordert beim Fest der Liebe, und die Verschmelzung, die sich nur angemessen ausdrücken läßt, wenn man die Syntax verletzt: ich gebe dich mich hin, du masturbierst mich dir, saugdichmichuns.
Hör jetzt auf zu schauen. Schließ jetzt die Augen. Und jetzt, ohne sie zu öffnen, schau mich an und schau dich an, wie man uns auf diesem Bild dargestellt hat, das so viele betrachten und so wenige sehen. Jetzt weißt du, daß noch vor der Zeit, da wir uns kennenlernten, liebten und vermählten, jemand, mit dem Pinsel in der Hand, vorwegnahm, in welch schrecklichen Ruhm uns jeden Tag und jede neue Nacht das Glück verwandeln sollte, das wir zu erfinden wußten.
13.
Die schlechten Wörter
»Ist die Stiefmutter nicht da?« fragte Fonchito enttäuscht.
»Sie wird bald kommen«, antwortete
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