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Lobgesang auf Leibowitz

Lobgesang auf Leibowitz

Titel: Lobgesang auf Leibowitz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter M. jr. Miller
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mir über mich selber klarwerden, meiner selber sicher werden, irgendwie. In einer halben Stunde. Weniger als eine halbe Stunde nur noch. Audi me, Domine – bitte, Herr, es ist nur eine von Deinen Schlangen aus dieser Generation, die Dich um etwas bittet, die bittet, zu wissen, die um ein Zeichen bittet, ein Zeichen, ein Wahrzeichen, ein Omen. Ich habe nicht genügend Zeit zur Entscheidung.
    Er sprang nervös auf. Irgendwas – glitt dahin?
    Er vernahm es als Rascheln in den trockenen Rosensträuchern in seinem Rücken. Es hielt an, raschelte und glitt weiter. Würde ein Zeichen von Gott dahingleiten? Ein Omen, ein Wahrzeichen könnte ja vielleicht…Das negotiumperambulans in tenebris des Psalmisten könnte… Eine Schlange könnte… Eine Grille, vielleicht. Es raschelte ja nur. Bruder Hegan hatte einmal eine Schlange im Hof getötet, aber… Jetzt glitt es wieder dahin! – ein langsames Schleifen in den Blättern. Wäre es ein angemessenes Zeichen, wenn es hervorglitte und ihn in den Hintern stäche?
    Aus der Kirche kamen wieder die Gebete: Reminiscentur et convertentur ad Dominum universi fines terrae. Et adorabunt in conspectu universae familiae gentium. Quoniam Domini est regnum; et ipse dominabitur… Merkwürdige Worte für heute morgen. Alle Enden der Erde sollen gedenken und sich zum Herrn hinwenden…
    Das Gleiten hörte plötzlich auf. War es direkt hinter ihm? Wirklich, Herr, ein Zeichen ist absolut notwendig. Wirklich, ich… Etwas stieß ihn sacht am Handgelenk. Er schoß mit einem Schreckensschrei hoch und sprang von den Rosensträuchern fort. Er ergriff einen losen Steinbrocken und warf ihn in die Sträucher.
    Das Geräusch war lauter, als er erwartet hatte. Er kratzte seinen Bart und kam sich recht dumm vor. Er wartete, aber nichts kam aus den Büschen hervor. Nichts glitt. Er schnippte einen Kiesel hinüber. Auch er machte unangemessenen Lärm in der Dunkelheit. Er wartete wieder, aber wieder rührte sich nichts in den Sträuchern. Bitte um ein Omen, und dann steinige es, wenn es kommt: de essentia hominum.
    Eine rosafarbene Zunge der Morgendämmerung begann die Sterne vom Himmel zu lecken. Bald würde er gehen müssen und es dem Abt sagen müssen. Und was würde er ihm sagen?
    Bruder Joshua verscheuchte Stechmücken von seinem Bart und setzte sich in Richtung auf die Kirche in Bewegung, denn es war gerade jemand herausgekommen und hatte sich umgesehen - nach ihm? Unus panis et unum corpus multi sumus, kam das Gemurmel aus der Kirche, omnes qui de uno… Ein Brot und ein Leib, obgleich wir viele sind, und von einem Brot und einem Kelch haben wir gegessen und getrunken…
    Er blieb unter der Tür stehen und blickte zu den Rosensträuchern zurück. Eine Falle war das, dachte er, oder? Du hast es gesandt, weil du wußtest, ich würde Steine danach werfen, nicht wahr? Eine Sekunde später schlüpfte er in die Kirche und kniete neben den anderen nieder. Seine Stimme verschmolz mit den ihren im flehentlichen Bittgebet; eine Weile hörte er ganz auf zu denken in der Gemeinschaft der mönchischen Weltraumfahrer, die hier versammelt waren. Annuntiabitur Domino generatio Ventura… Und es soll dem Herrn eine neue Generation geweiht werden; und die Himmel werden zeigen Seine Gerechtigkeit gegenüber einem künftigen Volk, das der Herr geschaffen hat…
    Als er wieder zu sich kam, sah er, daß der Abt ihm zuwinkte. Bruder Joshua ging und kniete neben ihm nieder. »Hoc officium, Fili – tibine imponemus oneri?« flüsterte der Abt.
    »Wenn sie mich wollen«, antwortete der Mönch leise, »honorem accipiam.«
    Der Abt lächelte. »Du hast mich nicht gut verstanden. Ich sagte ›Bürde‹, nicht ›Ehre‹. Crucis autem onus si audisti ut honorem, nihilo errasti auribus.«
    »Accipiam«, wiederholte der Mönch.
    »Und du bist sicher?«
    »Wenn sie mich wählen, dann werde ich sicher sein.«
    »Nun, das ist schon ganz schön.«
    Also war es entschieden. Während die Sonne aufging, wurde ein Hirte gewählt, um die Herde zu leiten.
    Es war nicht leicht gewesen, ein Charterflugzeug für den Flug nach New Rome zu bekommen. Noch schwieriger war es gewesen, die Starterlaubnis zu erhalten, nachdem man das Charterflugzeug gefunden hatte. Alle zivilen Flugkörper waren unter militärische Entscheidungsgewalt gestellt worden, solange der Notstand andauerte, und man benötigte eine Flugerlaubnis der Militärbehörden. Das örtliche Büro der ZDI hatte diese Erlaubnis verweigert. Wenn Abt Zerchi nicht zufällig über die

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