Lobgesang auf Leibowitz
diesem Unternehmen können sie wohl verzweifeln, bis zu der Zeit vor dem Ende der Welt…
Jemand hatte die Türen der Abteikirche geöffnet. Mönche kamen heraus und schritten ruhig auf ihre Zellen zu. Nur ein schwacher Schimmer drang aus dem Eingang in den Hof. Das Licht in der Kirche war schwach. Joshua sah nur ein paar Kerzen und das kleine rote Auge des Ewigen Lichts. Mit Mühe konnte er die sechsundzwanzig seiner Brüder erkennen, die dort kniend warteten. Jemand schloß die Türen wieder, aber nicht ganz, denn durch einen Spalt konnte Joshua immer noch das rote Licht sehen. Feuer brannte in Anbetung, brannte zum Lobe, glühte sanft in Verehrung dort in seinem roten Behältnis. Feuer, das schönste der vier Elemente der Erde, und doch auch ein Element in der Hölle. Während es anbetend im Herzen eines Tempels brannte, hatte es auch das Leben aus einer Stadt herausgebrannt, heute nacht, und sein Gift über das Land gespien. Wie seltsam, daß Gott in einem brennenden Dornbusch sprach, und wie seltsam, daß die Menschen ein Symbol des Himmels zu einem Symbol der Hölle machten.
Er blinzelte wieder hinauf zu den staubigen Sternen am Morgenhimmel. Nun, Paradiese würden sie dort draußen nicht finden, so sagte man jedenfalls. Und doch, es gab Menschen dort draußen, jetzt, Menschen, die aufblickten zu fremden Sonnen in noch fremderen Himmeln, die fremde Luft atmeten und fremden Boden bearbeiteten. Auf Welten mit gefrorenen Äquatorial-Tundren, Welten mit dampfenden arktischen Dschungeln, ein bißchen vielleicht ähnlich wie die Erde, genug, damit der Mensch irgendwie dort leben konnte im Schweiße seines Angesichts. Es war nur eine Handvoll, diese himmlischen Kolonisatoren der Gattung Homo loquax nonnumquam sapiens, ein paar geplagte Kolonien der Menschheit, die bisher nur wenig Hilfe von der Erde erhalten hatten; und von jetzt an könnten sie mit überhaupt keiner Hilfe mehr rechnen, dort oben in ihren neuen Nicht-Paradiesen, die noch paradiesesunähnlicher waren, als die Erde es gewesen war. Vielleicht zum Glück für sie. Je näher der Mensch der Vervollkommnung eines Paradieses für sich kam, desto ungeduldiger schien er mit diesem Paradies und mit sich selber zu werden. Er machte einen Garten der Freuden und wurde mehr und mehr elend, je mehr die Schönheit und Macht und Reichtümer wuchsen; denn vielleicht war es einfacher für den Menschen zu sehen, daß etwas in seinem Garten fehlte, irgendein Baum, ein Gesträuch, das nicht wachsen wollte. Als die Welt in Finsternis und Elend lag, konnten die Menschen an die Vollkommenheit glauben und sich nach ihr sehnen. Doch als die Welt hell wurde durch Reichtum und Ratio, da fühlte sie die Enge des Nadelöhrs, und das fraß um sich wie ein Geschwür in einer Welt, die nicht mehr bereit war, zu glauben und sich zu sehnen. Nun, und jetzt waren sie dabei, sie wieder einmal zu zerstören, diese Welt, sie waren dabei – diesen Garten Eden zivilisiert und im vollen Bewußtsein wieder einmal auseinanderzuzerren, damit der Mensch wieder zu hoffen vermöge in Elend und Finsternis.
Und doch, die Memorabilien sollten mit dem Schiff gehen! War das ein Fluch?… Discede, Seductor informis! Nein, es war kein Fluch, dieses Wissen, nur wenn der Mensch es pervertierte, wie es mit dem Feuer geschah in dieser Nacht…
Warum muß ich fort, o Herr? fragte er sich. Muß ich denn gehen? Und was versuche ich da zu entscheiden: gehen oder mich weigern, zu gehen? Aber das war doch längst entschieden, der Auftrag war erteilt worden – vor langer Zeit schon: egrediamur tellure, gehen wir also von der Erde fort, denn es ist befohlen durch ein Gelübde, das ich abgelegt habe. Also gehe ich. Aber daß man mir die Hände auflegt und mich Priester nennt, mich sogar Abbas nennt, mich zur Aufsicht setzt über die Seelen meiner Brüder? Muß der Verehrungswürdige Vater darauf bestehen? Aber er besteht ja gar nicht darauf. Er besteht nur darauf, zu wissen, ob Gott darauf besteht. Aber er hat es so entsetzlich eilig. Ist er meiner wirklich so sicher? Wenn er mir das so auf den Rücken wirft, dann muß er meiner sicherer sein, als ich es selber bin.
Sprich, Schicksal, äußere dich! Schicksal, das sieht immer so aus, als wäre es Jahrzehnte entfernt, aber plötzlich ist es nicht mehr Jahrzehnte entfernt, plötzlich ist es jetzt. Aber vielleicht ist Schicksal immer jetzt, hier, in diesem Augenblick. Vielleicht.
Und ist es nicht genug, daß er sicher ist? Nein, das ist bei weitem nicht genug. Muß
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