Locke greift an
tragen. Das macht ihn so erwachsen!«, rief Frau Dahl.
Lockes Mutter aber, bei aller Liebe, schluckte auch etwas, als sie ihren Sohn so sah. »Der Junge wird langsam groß. Kleider machen Leute«, sagte sie. Und plötzlich schien es, als wäre ihr etwas ins Auge geflogen.
»Die sollen Fußball spielen und nicht Klamotten vorführen!«, maulte jetzt Vater Schubert. Eva fügte hinzu: »In Jeans ist er mir immer noch am liebsten.«
Das allerletzte Wort aber hatte Pfarrer Kelter. »Wie ein NEW KICKING DEVIL sieht er hier jedenfalls nicht aus.«
Matz sah Locke sofort und ging völlig unbefangen auf ihn zu. Patrick dagegen, der sich kürzlich noch vorgenommen hatte, bald einmal mit seinem wiedergewonnenen Freund zu telefonieren, hatte nun doch wieder ein leicht komisches Gefühl, als er Matz sah, vor diesem Spiel …
Dennoch nahmen sich die beiden in die Arme. Matz eröffnete das Gespräch.
»Weißt du noch, als wir im Sportcafé in Gelsenkirchen saßen und die Auslosung zur EM gesehen haben? Da wären wir im Traum doch beide nicht draufgekommen, dass wir uns hier im Endspiel wiedertreffen.«
Locke blickte vor sich hin. »Und vor allen Dingen«, sagte er halblaut, dass nur Matz es hörte, »konnte ich mir nicht vorstellen, dass wir einige Monate nicht miteinander sprechen würden.«
Matz nickte. »Weißt du … mir ist klar geworden, dass ich dir die ganze Zeit über keine Chance zur Rechtfertigung gegeben habe. Das tut mir leid!« Er sah Locke fest an. »Lass uns jetzt vor achtzigtausend Zuschauern beschließen, dass wir Freunde für alle Zeit sind, dass wir immer, aber wirklich immer, über alles miteinander reden und bei Problemen füreinander da sind.«
Wer die beiden beobachtet hatte, konnte jetzt staunend feststellen, dass sich zwei Endspielgegner noch kurz vor ihrem wichtigsten Spiel fest in den Arm nahmen.
Irgendein Witzbold in der Nähe der Schuberts schrie: »Und wer steckt jetzt die Ringe an?« Aber natürlich konnten Patrick und Matz unten auf dem Rasen und in dem allgemeinen Getöse kein Wort verstehen. Und Eva sah diese Umarmung von der Tribüne aus voller Freude.
Das Stadion brodelte. Es war fünf Minuten vor drei und die beiden Mannschaften wurden von den Schiedsrichtern aus England auf den Platz geführt. Als die Nationalhymnen erklangen, sangen die Fangruppen auf den Rängen jeweils lauthals mit, und dann - dann gab es den Anstoß.
Die deutschen Spieler waren wie immer in Schwarz-Weiß mit dem Adler auf den Hemden, die türkischen in ihren roten Trikots mit dem Halbmond auf der Brust. Die Nachmittagssonne brachte die Kleidung der Mannschaften vor dem Grün des Rasens zum Leuchten. Es war ein traumhaftes Bild.
Trainer Stettler hatte kurz vor Spielbeginn in der Kabine nochmals einen Kreis bilden lassen und seine Jungs fest angesehen.
»Ich denke, ich muss heute nicht viel sagen. Es geht um den Titel. Was sind wir?« Der Kreis brüllte wie bei der schlimmsten Szene in einem Horrorfilm zurück: »Ein Team!«
Wild entschlossen stürmte Deutschland auf das Tor der Türken vor der Nordtribüne zu. Stettler stand am Spielfeldrand und ruderte wie wild mit den Armen. Ruhiger, ruhiger sollte das bedeuten. Die Angriffe waren deutlich überhastet und so kam man auch nicht zum Torabschluss. Die Türkei dagegen wirkte zunächst deutlich cooler. Es war wieder einmal Matz, der ja insgesamt eine überragende EM gespielt hatte und nun, in der zwölften Minute, Kevin Rott mit einem Fernschuss aus zwanzig Metern Entfernung prüfte. Kevin musste sich ganz lang machen, um den flachen Ball noch um den Pfosten zu lenken. Ecke.
Der Ball kam hoch herein. Einer der Innenverteidiger aus der Türkei erwischte den Ball mit der Stirn. Kevin hatte sich nicht entscheiden können, ob er auf der Linie stehen bleiben oder raus aus dem Kasten sollte. Deshalb machte er jetzt zwei halbherzige Schritte nach vorne - und fast provozierend langsam flog der Ball über ihn hinweg ins deutsche Tor. 0:1!
Torwartfehler! Aber die deutschen Jungs gingen sofort zu Kevin und klopften ihm auf die Schulter, getreu dem Motto: Du hast schon so viele Treffer verhindert, solch ein Fehler kann jedem passieren …
Überschwänglich feierten die türkischen Zuschauer die Führung und schwenkten ihre Fahnen. Es war, als würde die Farbe Rot sich ausweiten in dem allgemeinen Jubel.
Manni Treuckelmann, der ARD-Radioreporter, hatte dazu die entsprechende Bemerkung parat: »In diesem Augenblick hat man das Gefühl, Dortmund liegt am Bosporus«,
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