Lockende Flammen
jüngeren Bruders schmückte. Verletzt hatte Leos Bemerkung sie trotzdem, obwohl sie sich nichts anmerken ließ. Als ob es absolut undenkbar wäre, dass eine Frau wie sie jemals das Interesse eines Mannes wie Alessandro Leopardi wecken könnte. Nicht dass sie auch nur den geringsten Wunsch verspürte, sich in die nicht enden wollende Schlange seiner Geliebten einzureihen. Sie wollte nur als Pilotin für ihn arbeiten, und dafür war sie bereit, jedes Risiko in Kauf zu nehmen.
„Nein, natürlich nicht.“
Leonora kreuzte hinter ihrem Rücken die Finger. Sie hatte sich alles genau zurechtgelegt und zweifelte keine Sekunde daran, dass ihr Plan funktionieren würde. Er musste funktionieren. Es war einfach nicht fair. Sie konnte genauso gut fliegen wie ihr jüngerer Bruder, wenn nicht sogar besser. Und wenn Alessandro Leopardi das am eigenen Leib erlebte, würde er sie bestimmt einstellen. Mit seinem exklusiven Erste-Klasse-Service flogen Fluggäste um die ganze Welt, und ihr größter Wunsch war es, dieser auserwählten Truppe anzugehören.
„Du glaubst doch nicht ernsthaft, dass du damit durchkommst“, versuchte Leo es erneut.
„Ich glaube es nicht nur, ich weiß es“, konterte Leonora prompt. „Ich habe sogar extra noch ein paar zusätzliche Flugstunden genommen.“ An die Kosten der ganzen Aktion wollte sie lieber nicht denken. Oder daran, wie viele Unterrichtsstunden in Mandarinchinesisch sie zusätzlich hatte erteilen müssen.
„Es würde mir im Traum nicht einfallen, deine Kompetenz anzuzweifeln, aber du hast ja nicht mal eine Uniform!“, wandte Leo siegesgewiss ein.
„Simsalabim!“ Leonora riss ihren Trenchcoat auf und präsentierte sich stolz in ihrer neuen Pilotenuniform. Dann holte sie aus ihrer Plastiktüte die Schirmmütze heraus.
Leo fiel fast in Ohnmacht. „Wenn du auffliegst, bin ich meinen Job ein für alle Mal los, das ist dir doch klar, oder?“, warnte er sie.
„Wieso sollte ich auffliegen? Ich bin schließlich kein Stümper.“ Leonora zog ihren Mantel aus, stopfte die lange Mähne unter die Mütze und salutierte übermütig. „Zu Diensten, Käpt’n Leo Thaxton.“
Leo stöhnte wieder auf. „Himmel, reicht es denn nicht, dass du mir meine Uniform gestohlen hast? Musst du mir jetzt auch noch meinen Namen stehlen?“
„Tu ich doch gar nicht. Es ist ja auch mein Name. Bis heute konnte ich mich eigentlich nie besonders darüber zu freuen, dass unsere Eltern uns fast identische Namen gegeben haben. Du meine Güte, Leo, jetzt mach doch nicht so ein Gesicht!“
„Und was ist mit dem Kopiloten?“
„Was soll mit ihm sein? Das ist doch Paul Watson, oder? War das nicht der, der kürzlich mit einer von euren Stewardessen ausgegangen ist, obwohl das gegen die Dienstvorschrift verstößt?“
„Oje! Warum kann ich bloß meinen Mund nicht halten? Paul wird mich umbringen.“
Leonora machte eine wegwischende Handbewegung. „Komm schon“, drängte sie. „Beeil dich. Du musst mich zum Flughafen fahren und durch den Sicherheitscheck schleusen.“
„So was Stures wie du ist mir wirklich noch nie über den Weg gelaufen“, brummte Leo.
„Kann gut sein“, pflichtete Leonora ihm gutgelaunt bei und dachte im Stillen: Was bleibt mir anderes übrig? Wenn ich nicht so stur wäre, würde ich diesen Job bei Avanti Airlines nie bekommen, dabei will ich ihn mehr als sonst irgendetwas auf der Welt.
2. KAPITEL
Es war ein angenehmer Flug gewesen, aber etwas anderes hatte Alessandro auch nicht erwartet. Immerhin kannte er die neue Maschine aus eigener Erfahrung und war beeindruckt gewesen, wie gut sie sich handhaben ließ.
Alessandro hatte keinen Piloten nur für sich allein. Er zog es vor, sich immer abwechselnd von einem seiner Erste-Klasse-Piloten fliegen zu lassen, weil er auf diese Weise ganz nebenbei überprüfen konnte, ob seine Angestellten seinen hohen Ansprüchen auch tatsächlich gerecht wurden.
Leo Thaxton arbeitete noch nicht lange bei ihm, aber der Flug eben hatte eindeutig gezeigt, dass der junge Mann seine Sache ganz hervorragend machte. Die Turbulenzen auf halber Strecke hatte er mustergültig bewältigt.
Alessandro nahm dankend den Mantel und den Laptop entgegen, die der Steward ihm hinhielt, und verließ das Flugzeug. Ohne einen Blick zurück ging er mit schnellen Schritten auf die Limousine zu, die ihn auf dem Rollfeld erwartete.
Es war vollbracht! Jetzt konnte Alessandro Leopardi nie mehr sagen, dass sie nicht qualifiziert genug war, um seine Flugzeuge zu fliegen.
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