Lockende Flammen
Menge sogar, aber Leonora wollte keinen stumpfsinnigen Job, der nur daraus bestand, zwischen den einzelnen Inlandsflughäfen hin und her zu fliegen. Das war ihr zu wenig. Leonora wollte mehr.
Bereits in ihrer Kindheit hatte sie stets das Gefühl gehabt, immer erst laut werden zu müssen, um gehört zu werden. Nun, wenn sie erst am Steuer der Privatmaschine gesessen hatte, die dem Besitzer von Avanti Airlines gehörte, würde man sie mit Sicherheit hören.
Natürlich hatte Leo versucht, sie von ihrer Idee abzubringen, aber etwas anderes hatte sie nicht erwartet. Leonora hatte ihn erst daran erinnern müssen, dass er ihr noch etwas schuldete.
Protestiert hatte er trotzdem. „Jetzt sei doch vernünftig“, hatte er gesagt. „Das geht nicht! Ich komme in Teufels Küche, wenn ich dich an meiner Stelle fliegen lasse.“
Aber Leonora wollte nicht vernünftig zu sein. Vernünf tig waren sexuell erwachsene selbstbewusste Frauen, die von Männern hofiert und angebetet wurden. Eine Frau wie sie, die immer noch den kleinen Wildfang spielte und sich hinter einem Schutzwall aus Burschikosität verschanzte, war nicht vernünftig, sondern stets für eine Mutprobe zu haben. Auch wenn sie sich manchmal verzweifelt danach sehnte, anders zu sein.
Als Alessandro die Sitzung verließ, die ihn nach London geführt hatte, zog er finster die Augenbrauen zusammen. Und als er zwanzig Minuten später vor dem Carlton Tower Hotel aus der Limousine stieg, war die steile Falte über der Nasenwurzel immer noch da. Dabei war das Treffen durchaus positiv verlaufen.
Er war ein hochgewachsener Mann, mit einer Körperhaltung, die ihm – inbesondere von seinen Geschlechtsgenossen – oft als Arroganz ausgelegt wurde, während Frauen darin den Ausdruck der selbstbewussten Persönlichkeit eines Mannes erkannten, der es nicht nur verstand, sinnliche Lust zu schenken, sondern diese auch auszukosten. Seine entschlossenen Gesichtszüge hätten einem römischen Feldherrn alle Ehre gemacht. Sie kündeten von Stolz und der unerschütterlichen Gewissheit, etwas Besonderes zu sein. Sein dunkles lockiges Haar war so kurz geschnitten, dass es nicht mehr wellig wirkte. Die unter dichten schwarzen Augenbrauen liegenden Augen erstrahlten in einem ungewöhnlichen dunklen Grau, während seinen geschmeidigen Bewegungen etwas Raubtierhaftes innewohnte. Männer begegneten ihm respektvoll, aber wachsam. Frauen waren auf Anhieb fasziniert und begehrten ihn.
Der Portier begrüßte ihn mit Namen. Die hübsche Empfangsdame am Tresen beobachtete verstohlen, wie er durchs Foyer zum Aufzug ging.
Der Grund für seine Verärgerung befand sich in seiner Jackentasche. Dabei handelte es sich um eine förmliche Einladung zusammen mit ein paar knappen Worten seines Bruders, die ihn unmissverständlich daran erinnerten, dass seine Anwesenheit bei der 900-Jahr-Feier am Wochenende am Hauptwohnsitz seiner Familie in Sizilien unumgänglich war. Fernbleiben war keine Option – bedauerlicherweise.
Und zwar aus Gründen der Loyalität. Weil sich die beiden jüngeren Brüder verpflichtet fühlten, ihrem großen Bruder beizustehen, genauso wie dieser ihnen in ihrer Kindheit verlässlich beigestanden hatte.
Obwohl Rocco, der Jüngste, diesmal ungeschoren davonkam, weil er sich auf Hochzeitsreise befand. Eigentlich hatte Alessandro gehofft, sich ebenfalls elegant aus der Affäre ziehen zu können, doch Falcons förmliche Einladung hatte ihn eines Besseren belehrt.
Da Antonio, ihr Halbbruder und erklärter Liebling ihres Vaters, tot und Rocco entschuldigt war, würden Alessandro und Falcon die beiden einzigen Söhne sein, die an der Feier teilnahmen. Antonio war bei einem selbstverschuldeten Autounfall ums Leben gekommen. Diesen Schicksalsschlag hatte ihr Vater nie verkraftet. Seitdem hatte er ein so schweres Herzleiden entwickelt, dass die Ärzte ihm kaum eine Chance gaben, das Ende des Jahres zu erleben.
Warum Alessandro der Gedanke an den bald bevorstehenden Tod seines Vaters nicht traurig machte, wussten nur seine Brüder. Immerhin hatten sie in ihrer Kindheit alle dasselbe Schicksal geteilt. Allein ihr Halbbruder Antonio war in den Genuss der Liebe seines Vaters gekommen, während Alessandro und seine beiden Brüder ungeliebt hatten aufwachsen müssen, nachdem ihre Mutter kurz nach Roccos Geburt gestorben war.
Alessandro schaute aus dem Fenster, ohne den dahinter liegenden Park zu sehen. Stattdessen stiegen vor seinem geistigen Auge die dunklen Mauern von Castello Leopardi auf. Und
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