Lockende Versuchung
bekannt ist?“
Sir Edmund hob die Hände. „Nun, bei Tisch habe ich schon einen vergeblichen Versuch unternommen, über meine Familie zu sprechen. Seit Jahrhunderten erhalten nämlich die männlichen Nachkommen der Familie Fitzhugh die Namen Edmund und Crispin. Mein Vater war der Reverend Crispin Fitzhugh, und auch mein Neffe, der Sohn meiner Schwester Alice, trägt den Namen Crispin … Crispin Bayard.“
Ihr geliebter Crispin der Neffe von Sir Edmund Fitzhugh? Julianna musste sich diese Erkenntnis mehrmals im Geiste wiederholen, bevor sie sich in ihrem Kopfe festsetzen konnte. „So seid Ihr also … Crispins … Crispins ‚gewisser‘ Onkel, wie er Euch nannte? Ich kann es kaum glauben! Aber ich frage mich, warum er mir nie Euern Namen genannt hat, wenn wir über Euch gesprochen haben.“
„Nun“, erwiderte Sir Edmund, „ich denke, dass mein Neffe erfahren genug war, um zu wissen, dass ein Onkel kein geeigneter Gegenstand für eine Unterhaltung mit seiner Liebsten ist.“
„Immerhin hat er mir einmal gesagt, dass er alles, was ein Gentleman wissen muss, von Euch gelernt hat“, widersprach Julianna eifrig.
Aber Sir Edmund schüttelte nur abwehrend den Kopf. „Mit dieser Behauptung ist er über das Ziel hinausgeschossen. Ich denke, wir haben beide das meiste davon der Erziehung durch unsere liebe Alice zu danken.“
Bei diesen Worten überkam Julianna unvermittelt das Gefühl, als stehe ihr teurer Crispin unsichtbar neben ihr im Zimmer. Spontan ergriff sie die Hand ihres Gatten und drückte sie fest. „Es ist mir eine große Freude, Euch nun endlich persönlich kennengelernt zu haben“, sagte sie lächelnd. Doch im selben Augenblick wurde ihr bewusst, dass sie Crispins Onkel ja nicht nur kennengelernt, sondern am heutigen Tage geheiratet hatte, und so ließ sie erschrocken seine Hand wieder fallen.
Die plötzliche Veränderung ihrer eben noch strahlenden Miene übersah Sir Edmund jedochgeflissentlich und fuhr mit ruhiger Stimme fort: „Crispin hat vor seiner Abreise viel über dich gesprochen, und ich erkannte daraus seinen Wunsch, dass ich alles tun sollte, was in meiner Macht stand, um dir gegebenenfalls Hilfe zuteilwerden zu lassen. Wie du weißt, hätte er es ja nicht nötig gehabt, jene Expedition in die Südsee zu unternehmen. Wenn er sich stattdessen entschlossen hätte, in England zu bleiben und dich zur Frau zu nehmen, wäre ich ihm als meinem rechtmäßigen Erben hinsichtlich eines durchaus akzeptablen Arrangements weitgehend entgegengekommen. Aber er ist eben ein echter Fitzhugh. Stolz ist unsere hervorstechendste Untugend, und ich kann ihn deshalb nicht schelten. Auch seinen Hang zum Abenteuer darf ich ihm nicht zum Vorwurf machen, da ich in meiner Jugend doch selbst so sehr davon besessen war. Trotz allem ist Crispin ein anständiger Kerl, und ich bin sicher, dass es ihm gut geht. Seit seine Mutter das Zeitliche segnete, bin ich sein Vormund, und ich halte ihn in jeder Hinsicht wie meinen eigenen Sohn. Vielleicht verbindet uns sogar mehr, als es gemeinhin zwischen Vätern und Söhnen üblich ist, die mit der Zeit oft immer mehr in Widerspruch zueinander geraten. Für mich jedoch ist Crispin das Wichtigste auf der Welt.“
„Und für mich auch!“ Ohne es zu wollen, kam Julianna dieser Ausruf über die Lippen. Schließlich war es, wie immer die Umstände auch lagen, zumindest nicht besonders höflich, dem soeben angetrauten Gatten die unsterbliche Liebe zu einem anderen Manne zu gestehen. „Ich … ich wollte sagen …“, ergänzte sie deshalb rasch, „und Ihr seid es für ihn. Er hat immer mit großer Zuneigung von Euch gesprochen.“
Aber Sir Edmund schien von ihrem Schnitzer nicht besonders beeindruckt zu sein, ebenso wenig wie von ihrem etwas ungeschickten Versuch, ihn wieder gutzumachen. „Nun, was dich betrifft, mein Kind“, fuhr er mit einem nachsichtigen Lächeln fort, „so dürfte der Ausdruck Zuneigung zu dürftig sein, um seine Gefühle für dich zu beschreiben. Der größte Teil, den er in letzter Zeit zu unseren Unterhaltungen beisteuerte, drehte sich im allgemeinen um deine Schönheit, deinen Geist und deinen Verstand. Ich habe ihn deshalb einmal mit dem Zitat von Shakespeare geneckt: Die Augen meiner Liebsten …“
„… sind bei Weitem nicht die Sonne“, nahm Julianna ihm lachend das Wort. „Ich weiß. Crispin hat es mir erzählt.“
„Er hat mir damals prophezeit, dass ich dieses Wort eines Tages zurücknehmen würde. Nun, und genau das tue ich heute.
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