Lockende Versuchung
Bequemlichkeiten. Unsere Köchin und deren Nichte, die ich mir als Zofe ausgesucht habe, stammen beide aus Wales. Du kannst also getrost davon ausgehen, dass ich unter ihrer Obhut ebenso gut gepflegt und ernährt werde wie in früheren Tagen durch dich .
Julianna streifte das frohgemut arbeitende Mädchen mit einem kurzen Seitenblick und schickte dabei ein Dankgebet zum Himmel. Ohne die Anhänglichkeit und Treue ihrer Zofe wäre sie in dem goldenen Käfig von Fitzhugh House vielleicht schon verzweifelt, zumal sie die gezwungene Höflichkeit der anderen Dienstboten mehr ärgerte als unverhüllte Dreistigkeiten. Und was Mr Brock anbelangte, so hatte sich ihre gegenseitige Abneigung während der Wochen seit der Hochzeit in einen verdeckten Kriegszustand gesteigert, auch wenn die Feindseligkeiten durch frostige Verbindlichkeit maskiert wurden.
Resigniert tauchte Julianna die Feder in das Tintenfass.
Mein Gemahl hat mir ein großzügiges Taschengeld ausgesetzt, sodass du nicht befürchten muss, ich könnte die kleine Summe, die ich beifüge, vermissen. Sir Edmund sieht es als Voraussetzung für eine harmonische Ehe an, dass die Frau über eigene Geldmittel verfügt .
Während Julianna diese nur zur Hälfte zutreffende Behauptung niederschrieb, schüttelte sie den Kopf. In Wahrheit gab Sir Edmund ihr das Geld, um sein Gewissen zu beruhigen, denn er verbrachte nur sehr wenig Zeit mit ihr. Lediglich an einigen wenigen Abenden in der Woche ließ er sich dazu herab, mit ihr zu speisen. Aber diese Mahlzeiten waren alles andere als kurzweilig. Die gespannte Stille, die dabei herrschte, wurde nur hin und wieder durch leere Worte und banale Bemerkungen unterbrochen, die die Bezeichnung Unterhaltung keinesfalls verdienten. Schon des längeren fragte sie Julianna deshalb, ob die Freundlichkeit und der Sinn für Humor, den sie an ihrem Hochzeitsabend bei Sir Edmund entdeckt zu haben glaubte, nicht nur das Produkt ihrerFantasie gewesen waren.
„So“, erklärte in diesem Augenblick Gwenyth, während sie zufrieden das glänzende Holz der Regale und die blitzblank geputzten Scheiben musterte, „jetzt kümmere ich mich am besten um meine andere Arbeit. Kann ich noch irgendetwas für Euch tun, Mylady? Vielleicht einen Bissen zum Essen aus der Küche holen? Tantchen sagte mir, dass Ihr Euer Frühstück kaum angerührt habt, und sie befürchtet, Ihr mögt ihre Art zu kochen nicht.“
„Mache dir darüber keine Sorgen. Deine Tante kocht wunderbar. Ich habe einfach keinen Appetit, das ist alles. Im übrigen hat mich auch Mr Brock schon deswegen angesprochen.“ Ärgerlich legte Julianna die Feder zur Seite.
„Fühlt Ihr Euch nicht wohl, Mylady? Ihr schlaft so viel. Vom Abendbrottisch weg ins Bett, und frühmorgens steht Ihr von Tag zu Tag später auf.“
„Ich weiß“, erwiderte Julianna achselzuckend, obwohl sie selbst nicht wusste, was sie von ihrem übersteigerten Schlafbedürfnis halten sollte. „Zuerst habe ich gedacht, ich hole nur die vielen schlaflosen Nächte seit dem Tod meines Vaters nach. Aber je mehr ich schlafe, desto müder bin ich den ganzen Tag.“
„Wenn ich mir die Nachfrage erlauben darf, Ma’am … seid Ihr vielleicht nicht glücklich hier?“
Diese unverblümte Erkundigung nach ihren Gefühlen verwirrte Julianna, und sie brauchte einen Augenblick, um ihre Fassung wiederzuerlangen. Schließlich erwiderte sie: „Ich wäre sehr töricht und undankbar, wenn ich hier nicht glücklich wäre, Gwenyth.“ Dabei klang jedes Wort wie auswendig gelernt. „Ich habe ein schönes Heim, gutes Essen, viele Bedienstete und ein reichliches Nadelgeld.“ Um ein Haar hätte sie noch hinzugefügt: Doch ich habe keinen einzigen Freund auf dieser Welt .
„Aber Ihr vermisst bestimmt Euern Papa. Als ich kurz nach dem Tod meines Dad hierher kam, hat er mir ganz schrecklich gefehlt.“
„Meinen Vater vermissen? Ja, wahrscheinlich. Wir waren sehr gute Freunde. Immer hat er mich etwas Neues gelehrt, und ich durfte ihm auch bei seiner Arbeit helfen. Er war ein ganz besonderer Mensch, Gwenyth.“
„Vielleicht solltet Ihr mehr ausgehen, Mylady“, schlug das Mädchen vor. „Warum bittet Ihr nicht Sir Edmund, einmal mit Euch das Theater zu besuchen?“
„Ja, da magst du recht haben.“ Den Teufel sollte ich, dachte Julianna. Sir Edmund Fitzhugh war das ungeselligste Geschöpf, das sie je kennengelernt hatte. Zu Hause zog er sich mit seiner Pfeife in die Bibliothek zurück, und als sie einmal versucht hatte, seine
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