Lockende Versuchung
Ich habe gesehen, dass deine Augen leuchten wie die Junisonne, wann immer sein Name fällt.“
Wie als Antwort auf diese ritterliche Huldigung hoben sich nun Juliannas Mundwinkel zu einem glücklichen Lächeln. „Jetzt sehe ich, woher Crispin sein Talent für poetische Schmeicheleien hat.“
Allerdings schien dieses Kompliment Sir Edmund weniger zu erfreuen, denn in Verlegenheit zu bringen. Er sprang ruckartig auf und machte eine steife Verbeugung. „Ich hoffe, du wirst in deinem neuen Heim gut schlafen.“
Als er Anstalten machte, das Zimmer zu verlassen, stand auch Julianna zögernd auf. „So wollt Ihr also nicht die ganze Nacht hierbleiben“, murmelte sie, und die Erleichterung in ihren Worten war nicht zu überhören. Dieser Umstand schien Sir Edmund die Fassung zurückzubringen.
„So sehr ich es bedaure, eine solche freundliche Einladung ablehnen zu müssen“, erklärte er gemessenen Tones, „erscheint es mir in Anbetracht der Umstände als das Beste, damit unsere Verbindung … anständig bleibt. Ich betrachte dich als Crispins Braut, die in meinem Hause wohnt. Wenn er zurückkommt, wird es in Anbetracht der nicht vollzogenen Ehe ein leichtes sein, ihre Annullierung zu erreichen. Im übrigen würde mein Gebaren als leidenschaftlicher Bräutigam dich bei meiner angegriffenen Gesundheit früher zur Witwe machen, als zweckmäßig wäre.“
Dieser etwas makabre Scherz überraschte Julianna so sehr, dass ihr ein Lachen in der Kehle stecken blieb. Als Sir Edmund bereits die Hand auf die Klinke gelegt hatte, schien ihm ein weiterer Gedanke zu kommen, und so wandte er sich noch einmal zu Julianna um. „Die Einzelheiten unserer Vereinbarung müssen natürlich geheim bleiben“, mahnte er eindringlich. „Für den Rest der Welt treten wir als glückliches Ehepaar auf. Insbesondere misstraue ich deinem Stiefbruder. Wenn er unser Komplott herausfinden sollte, fürchte ich Schwierigkeiten von seiner Seite.“
„Ich gebe Euch mein Wort darauf“, beteuerte Julianna ehrlichen Herzens, denn sie wusste, dass sie in Teufels Küche kommen würde, sofern sie jemals irgendjemandem diese unglaubliche Geschichte erzählen sollte.
„Sehr gut. Dann als nochmals gute Nacht.“
Nach dem unerwartet raschen Verschwinden ihres Gemahl zog sich Julianna frühzeitig und allein in ihr Bett zurück. Doch sie fand lange Zeit keinen Schlaf, denn in ihrem Gemüt mischten sich die unterschiedlichsten Empfindungen: Verwunderung, grenzenlose Erleichterung und tiefste Dankbarkeit und zudem noch ein unbekanntes Gefühl, das sich hartnäckig einer näheren Benennung entzog. Es konnte doch nicht etwa … Enttäuschung sein?
3. KAPITEL
15. Dezember 1742
Liebste Winnie ,
ich sende Dir meine herzlichsten Weihnachtswünsche von London nach Wales. Dieses Schreiben wird dich hoffentlich pünktlich erreichen, zugleich mit einem etwas handfesteren Gruß. Es soll dir vor allem auch von der glücklichen Wendung meiner Lebensumstände berichten. Kurz nachdem Du London verlassen hast, habe ich Sir Edmund Fitzhugh geheiratet, einen Freund meines Vetters Francis .
Während Juliannas Feder leise auf dem dicken, leicht bräunlichen Papier kratzte, runzelte die Schreiberin unzufrieden die Stirn. Die Worte klangen so steif und förmlich. Aber leider fehlte ihr das Talent, ihre Lügen in einer etwas offeneren Sprache zu verpacken.
Gwenyth, die mit einem Federwedel hinter ihr die Regale säuberte, unterbrach ihre Überlegungen. „Es musst herrlich sein, Ma’am“, sagte das Mädchen schwärmerisch, „all diese großartigen Bücher lesen zu können und eine so schöne Handschrift zu haben.“
„Ja, das ist es wohl“, bestätigte Julianna mit einem unterdrückten Seufzen. Was ist das für ein Leben geworden, fragte sie sich dabei bedrückt, wenn mich nicht einmal mehr meine geliebten Studien zu fesseln vermögen? „Wenn du es gerne lernen möchtest, könnte ich es dir beibringen.“
„Das dürfte ich gar nicht annehmen, Ma’am!“ Erschrocken wandte sich Gwenyth wieder ihrer Arbeit zu und polierte hingebungsvoll die Schnitzereien mit einem geölten Tuch. „Was würde Mr Brock dazu sagen?“
Bei der Erwähnung dieses Namens zog Julianna eine Grimasse. Das letzte, was sie sich im Augenblick wünschte, war, dem Haushofmeister einen erneuten Anlass zu Klagen über sich zu geben. So griff sie lieber wieder zur Feder und fuhr in ihrem Schreiben fort.
Ich lebe in einem schönen, großen Haus mit vielen Bediensteten und allen nur denkbaren
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