Lockruf der Toten / Magischer Thriller
mitzunehmen. Es wäre nett gewesen, auch einmal einen anderen Eindruck zu machen – einfach der Abwechslung wegen.
Ich sah an dem Gebäude hinauf. Warf dann einen weiteren Blick auf die Adresse, die Paige mir gegeben hatte, als ich vom Flughafen aus angerufen hatte. Ich fragte mich, ob ich sie missverstanden hatte. Das Taxi stand mit laufendem Motor hinter mir; der Fahrer schien sich seiner Sache ebenso wenig sicher wie ich.
Das Gebäude war allem Anschein nach ein Lagerhaus oder ein sonstiger gewerblicher Bau gewesen und stand mitten in einem Gewerbeviertel. Ich sah kein Schild und keinen Firmennamen daran, aber bei einer paranormalen Klientel wirbt man eigentlich auch nicht mit Leuchtreklame.
Ich winkte dem Taxifahrer, er solle wegfahren, und beschloss einen Blick auf das Straßenschild zu werfen, bevor ich an der Tür klingelte. Als ich mich der Straßenecke näherte, sah ich eine junge Frau in Jeans und einem Lammfellmantel über die leere Straße rennen.
»Entschuldigen Sie?«, rief ich hinter ihr her.
Sie wurde nicht langsamer. In dieser Gegend wäre das wohl auch keine gute Idee gewesen. Ich trabte einige Schritte hinter ihr her.
»Entschuldigen Sie, ist dies die North Breton Road?«
Sie drehte sich um und schob ihre Sonnenbrille hoch; ihr Gesichtsausdruck war verwirrt. Ich hatte diesen Reden-Sie-mit-mir?-Blick schon zu oft gesehen, und mir sank das Herz, als ich einen näheren Blick auf ihre Kleidung warf – ausgestellte Jeans, Batik-T-Shirt, lange Fransen an der Handtasche …
»Äh, es tut mir leid«, sagte ich. »Ich dachte, Sie wären … Es tut mir leid.«
Ich drehte mich um und marschierte zurück auf den Gewerbebau zu; meine Absätze klickten auf der leeren Straße.
»Hast du es eilig, Nekromantin?«, rief sie hinter mir her.
Ich fluchte leise vor mich hin, setzte dann ein nichtssagendes Lächeln auf und drehte mich nach ihr um. Die junge Frau kam mit langen Schritten hinter mir her.
»Nein, natürlich nicht«, sagte ich. »Ich suche eine Adresse, und …«
»Kannst dir nicht vorstellen, dass ich helfen kann? Wo ich doch tot bin, und so weiter?«
»Ich wollte mich nicht aufdrängen. Dies ist also die North Breton Road?«
Sie ging einfach weiter, bis sie unangenehm dicht vor mir stand – etwas, das Geister sehr viel besser können als Menschen. Ihre Hände glitten beim Gestikulieren durch meine Schultern hindurch.
»Hey, dein Problem ist doch nicht, dass du mich vielleicht was fragen könntest, das ich nicht beantworten kann. Du rennst weg, bevor
ich
dich was fragen kann.«
»Ich bin nicht …«
»Spar’s dir. Ich bin deiner Sorte schon öfter begegnet. Zwei Jahre nachdem ich gestorben bin, hab ich Glück gehabt und bin bei einem KISS -Konzert einem Nekromanten begegnet. Hab den Typ gebeten, meiner kleinen Schwester was auszurichten. Einfach bloß ein Anruf, Kleinigkeit. Und er hält mir eine Predigt darüber, wie man Nekromanten auf die
korrekte
Art anspricht.«
»Manche Nekromanten können ein bisschen gereizt reagieren, vor allem wenn sie in Gegenwart von anderen …«
»Zehn Jahre später hab ich wieder eine gesehen, hab’s noch mal probiert, und sie ist einfach weggegangen. Hat es nicht mal nötig gehabt zu antworten.«
»Na ja, ich kann nichts versprechen, aber wenn du möchtest, dass ich mich mit deiner Schwester in Verbindung setze …«
»Sie ist fünfzig! Glaubst du, die will jetzt noch von mir hören?«
»Es tut mir leid, dass du schlechte Erfahrungen gemacht hast …«
»Fick dich ins Knie.« Sie wandte sich abrupt ab und stelzte davon.
Als ich zu dem Gebäude zurückging, konzentrierte ich mich auf die Dinge, die ich Paige und Lucas fragen wollte, und versuchte die junge Frau zu vergessen. Einfach nur irgendein Geist. Einer von Hunderten. Hunderten von hoffnungsvollen, enttäuschten …
Ich schüttelte den Gedanken ab und suchte mir einen Weg an einer aufgerissenen Mülltüte vorbei zur Haustür. Sie bestand zur Gänze aus dunklem Glas, Einwegglas vermutlich; man konnte durch die Tür ins Freie sehen, ich aber nicht ins Innere.
Ich zog an der Griffstange. Abgeschlossen. Links sah ich eine kleine Sprechanlage mit einem Schildchen: »Lieferanten und Besucher«. Ich drückte auf den Klingelknopf.
»Hey, Jaime!« Das war Savannah, Eves und Kristofs siebzehnjährige Tochter. Glücklicherweise kein Geist, sondern höchst lebendig und die Pflegetochter von Paige und Lucas.
Savannahs Stimme hatte so klar geklungen, dass ich mich unwillkürlich nach ihr
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