Lockruf der Toten / Magischer Thriller
Schwindler auffliegen lassen und dabei auf einen wirklichen Beweis gehofft.«
Sie schloss eine Tür in der hinteren Wand ihres Büros auf und stieß sie auf. »Und hier ist das Heiligtum. Es kann beim ersten Mal ein bisschen verstörend wirken, ich lasse also die Tür offen, während ich uns Kaffee besorge. Zwei andere Mitglieder der Gruppe wollten noch dazustoßen, sie müssten eigentlich bald auftauchen.«
»Verstörend« war durchaus ein passendes Wort, gerade nach der Zen-Atmosphäre im Foyer der Kanzlei. Wie Großwildjäger, die die präparierten Köpfe ihrer Beute an den Wänden aufhängen, hatte die Gruppe ihre Trophäen ausgestellt – Requisiten der Schwindler, die sie hatten auffliegen lassen, jeweils mit einem Zeitungsausschnitt darunter, in dem über die Entlarvung berichtet wurde. Ich sah alles von Tarotkarten über einen Schrumpfkopf und einen hölzernen Zauberstab bis zu einem »Ektoplasma«-Foto und einem Glas, über dessen Inhalt ich lieber keine Spekulationen anstellen wollte.
»Sind die echt?«, fragte ich.
»Kommt drauf an, was du als ›echt‹ definierst.« Hope warf einen Blick zur offenen Tür hinaus, um sich zu überzeugen, dass May noch nicht zurückkam. »Wie diese getrocknete Hand da. The Hand of Glory. Ich habe gehört, dass manche echten Hexen und Magier die Dinger verwenden, aber die da ist eine Fälschung. Fälschung in dem Sinne, dass sie keine magischen Eigenschaften hat, nicht in dem Sinne, dass sie nicht … na ja, es ist jedenfalls eine echte Hand.«
Ich warf einen Blick zu dem Schrumpfkopf hinüber.
»Yep, der ist auch echt«, sagte sie. »Und was die Frage angeht, woher ich das weiß – sagen wir einfach, ich hab’s aus einer sicheren Quelle.«
»Eine Vision?«, fragte Jeremy, während er sich setzte.
Sie nickte. »Hat mir einen Höllenschreck eingejagt, als May mich zum ersten Mal mit hier reingenommen hat. Plötzlich war ich im Regenwald und hab zugesehen, wie der ursprüngliche Besitzer des Kopfs ihn gerade verloren hat.«
»Das ist deine besondere Begabung, oder?«, fragte ich. »Du siehst …«
»Tod und Zerstörung und dieses ganze spaßige Zeug. Andere Halbdämonen haben irgendeine ungewöhnliche Gabe, aber ohne die dämonische Verbundenheit mit dem Chaos.
Ich
habe die Verbundenheit ohne die Gabe. Ganz mieses Geschäft.«
Sie sagte es leichthin, aber ihr Gesichtsausdruck wirkte nicht annähernd so unbekümmert. Ich versuchte es mir vorzustellen – einen Raum zu betreten, in dem jemand gestorben war, und nicht den Geist des Betreffenden zu sehen, sondern den Tod selbst. Ihn zu sehen, zu hören, zu riechen, zu erleben.
Vielleicht war das Geistersehen letzten Endes doch nicht so übel.
May stellte uns Rona Grant und Zack Flynn vor und erklärte uns die Umstände, die sie zu der Gruppe geführt hatten.
Rona Grant war Ärztin in der Forschung und eins der Gründungsmitglieder. In den achtziger Jahren hatte sie zunächst eine Laufbahn in der Psychiatrie erwogen. Ihr Mentor war ein Spezialist für verschüttete Erinnerungen gewesen, spezialisiert auf Erinnerungen an Satanskulte. Mit anderen Worten, er hatte sich Patienten mit einer spezifischen Kombination von Merkmalen und Symptomen vorgenommen und sie »regredieren« lassen, woraufhin sie feststellten, dass sie als Kinder bei satanischen Ritualen missbraucht worden waren. Was Rona während dieser Sitzungen gesehen hatte, war ihr so verstörend vorgekommen, dass sie mit eigenen Recherchen begonnen hatte. Inzwischen war sie eine der führenden Vertreterinnen der Theorie vom »False Memory Syndrome«, der zufolge unsere Erinnerungen keine exakte Wiedergabe von Tatsachen sind, sondern eine Mischung aus Tatsachen und Phantasie. Die Arbeit von Rona und anderen hatte bewiesen, dass die Erinnerungen dieser Satanskultopfer in Wirklichkeit Produkte der Einbildungskraft waren, die durch die Therapie erst ausgelöst worden waren.
Zack Flynn war ein neues Mitglied, nicht viel älter als Hope – der Journalist von der
L.A. Times,
den sie erwähnt hatte. Sein Beitrag war eine Serie von Investigativartikeln gewesen, mit denen er ein Wahrsager-Gespann enttarnt hatte. Die beiden waren auf esoterischen Messen und dergleichen ihrem scheinbar harmlosen Geschäft nachgegangen, wobei dieses Geschäft aber lediglich die äußere Fassade eines millionenschweren systematischen Identitätsdiebstahls dargestellt hatte. Damit schien sein Spezialgebiet für uns eher uninteressant zu sein, aber nachdem ich die verstohlenen
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