Lockruf der Toten / Magischer Thriller
weg, in Ordnung?«
»Danke.«
Ein Zischen in der Dunkelheit. Ich erstarrte, und meine Hände rutschten von Jeremys Hüften, als er weiterging. Ein lautes Schnattern ertönte unmittelbar vor meinen Füßen. Ich widerstand dem Bedürfnis, danach zu treten, und machte stattdessen einen hastigen Schritt rückwärts, sah mich hektisch um und konnte nichts erkennen außer Dunkelheit.
»Jaime?«
Wieder ein Zischen, und ich stolperte nach hinten. Mein Fuß rutschte in dem Dreck aus, und –
Jeremys Hände packten mich um die Taille und schwangen mich hoch.
»Leg mir die Arme um den Hals und halt dich fest.«
Als ich es tat, strichen meine Fingerspitzen durch sein Haar und an seinem Nacken hinunter. Ganz einfach schlecht gezielt natürlich – er konnte nicht erwarten, dass ich im Stockfinsteren etwas sah.
Er tat zwei Schritte, blieb dann stehen und fluchte leise. Weiteres Gezisch. Das Kratzen winziger Klauen auf Zement. Das wütende Quieken einer Ratte, die ihr Nest verteidigte, und jetzt war mir klar, dass der Weg vor uns versperrt war.
Jeremy stieß das leise grollende Geräusch aus, das die Katze verscheucht hatte. Das Gekreisch einiger Ratten wurde panisch, aber andere schnatterten einfach weiter. Jeremys Körper zuckte nach hinten, als er nach einer davon trat. Ich widerstand der Versuchung, das Gesicht an seiner Brust zu vergraben wie eine viktorianische Romanheldin.
»Halt dich fest«, murmelte er. »Da werde ich deutlicher werden müssen.«
Ich tat es. Eine Bewegung, als ob er den Kopf von mir fortdrehte; dann stieß er ein Fauchen aus, das von den Tunnelwänden widerhallte. Die Ratten kreischten; ich hörte das Scharren ihrer Klauen, als sie flüchteten.
Jeremy tat noch ein paar Schritte, bis wir an dem Nest vorbei waren, und senkte die Lippen zu meinem Ohr hinunter. »Ich bitte um Entschuldigung. Das war nicht sehr zivilisiert.«
Ich dachte nicht daran, mich zu beschweren. Auf mich hatte das Geräusch ebenfalls gewirkt … wenn auch nicht auf die gleiche Art. Ich verlagerte meinen Griff etwas und drängte mich dichter an ihn. Seine Lippen streiften mein Ohr und jagten einen köstlichen Schauer an meinem Hals entlang.
»Sorry«, murmelte er, den Mund immer noch an meinem Ohr; ich spürte den Atem heiß am Hals. Dann richtete er sich auf.
»Machen wir weiter.«
Ich stimmte diesem Vorschlag aus vollem Herzen zu. Leider meinte er weiter
gehen.
Und gerade als ich mich an den Gedanken zu gewöhnen begann, dass Sex in einem feuchten, rattenverseuchten Tunnel so übel vielleicht gar nicht war … Mit Sicherheit wäre es eine neue Erfahrung gewesen, und das wollte bei mir etwas heißen.
Ich blieb in seinen Armen liegen und genoss die Wärme seines Körpers, seinen Geruch, der den Gestank des Tunnels ausblendete. Aber nach ein paar Minuten begann sich die Frau des einundzwanzigsten Jahrhunderts vorwurfsvoll bei mir zu melden, und ich sagte mit einem unhörbaren Seufzer: »Wir sind weit genug dran vorbei, du kannst mich ruhig absetzen.«
»Das könnte ich. Aber der Tunnel ist breit genug, um dich zu tragen, und dem Geruch nach wird dieses Ende genutzt, also liegen hier wahrscheinlich auch ein paar weggeworfene Nadeln herum. In die du mit nackten Füßen lieber nicht treten solltest.«
Dagegen ließ sich wirklich nichts einwenden. Noch eine Minute, und wir beide konnten mattes Licht erkennen. Wenig später erreichten wir das Ende des Tunnels, eine halb mit Brettern vernagelte Öffnung.
Jeremy ließ mich herunter, und ich zog die Schuhe an. Dann quetschten wir uns durch die Öffnung ins Freie und fanden uns am Fuß einer kurzen Treppe wieder, die von einem Parkplatz zur Kellertür irgendeines Geschäftshauses hinunterführte. Und wir waren aus dem stinkenden, rattenverseuchten Tunnel in einen kalten Nieselregen hinausgetreten. Es klappt einfach immer – kaum habe ich ein bisschen Spaß, muss ich dafür bezahlen.
Also rannten wir, schaudernd und zunehmend nass, von einem überhängenden Gebäudeteil zum Nächsten. Jeremy gab mir sein Jackett, und ich machte keine Einwände. Schließlich erreichten wir die Straße und retteten uns unter eine Ladenmarkise.
»Nicht gerade die gefahrlose Fakten-Recherche, die du dir vorgestellt hattest, nehme ich an?«, fragte Jeremy. »Alles in Ordnung?«
»Natürlich. Das hat Spaß gemacht.«
Seine Mundwinkel zuckten. »Spaß?«
»In Ordnung,
Spaß
ist vielleicht eine Spur geschönt, aber – hey, das war das erste Abenteuer, das ich überstanden habe, ohne
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