Lockruf der Toten / Magischer Thriller

ist …«
    »Hier …«
    »Biet mir jetzt nicht deine Schuhe an. Eine ritterliche Geste, die aber das Problem nicht löst – außer du versuchst dich in
meine
Schuhe zu zwängen. Ich werde vorsichtig sein.«
    »Taste den Boden ab, bevor du auftrittst. Ich gehe vor.«
    Wir waren vielleicht sechs Meter weit gekommen, als der Wasserspiegel zu Pfützentiefe absank und der Boden darunter zu hartem Zement wurde. Ich wollte gerade »Schon besser« flüstern, als der Strahl der Taschenlampe flackerte und ausging. Typisch Schicksal. Es gibt und nimmt.
    Jeremys Finger griffen nach hinten und streiften meinen Arm, um mir mitzuteilen, dass er stehen geblieben war, bevor ich in ihn hineinrannte.

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23 Ritterlichkeit
    W as ist los?«, flüsterte ich.
    »Ich kann nichts sehen. Gib mir einen Moment Zeit.«
    Wir warteten; das einzige Geräusch war das ferne Tröpfeln von Wasser. Hier roch es anders, abgestanden und mit einer fast moschusartigen Note. Kalt war es außerdem. Ich legte mir die Arme um den Körper und versuchte das Zähneklappern zu unterdrücken – es hätte lediglich dazu geführt, dass Jeremy mir seine Jacke anbot.
    »Hm«, sagte er nach einer Pause. »Irgendwo muss es hier eine Lichtquelle geben. Ich kann Umrisse erkennen, aber nur mit Mühe, und es wird nicht besser.«
    »Aber gar kein Licht würde bedeuten, dass nicht mal du etwas sehen kannst, stimmt’s?«
    »Ich fürchte, ja. Auch die Nachtsicht braucht etwas, mit der sie arbeiten kann. Ich werde langsam gehen. Hier, gib mir die Taschenlampe und deine Schuhe und leg die Hände …«
    Er zog meine Hände auf seine Hüften. Ich schob mich näher heran … nur um ihn nicht zu verlieren natürlich.
    Wir setzten uns wieder in Bewegung, tasteten uns sehr langsam durch die Dunkelheit vorwärts. Wir hatten es etwa fünfzehn Meter weit und um eine Biegung geschafft, als ich etwas hörte, bei dem sich mir die Härchen im Nacken aufstellten. Das schnatternde Geräusch winziger, nadelspitzer Zähne.
    »Bitte sag mir, dass das Mäuse sind«, sagte ich. »Oder Erdhörnchen.«
    »In Ordnung.«
    Ich pikte ihn in den Rücken. »Lügner.«
    »Mach dir keine Sorgen. Sie sind noch nicht in der Nähe.«
    »Erinnerst du dich an diese psychotischen Ratten in Toronto? Hat Elena dir jemals erzählt, dass sie uns in die Enge getrieben hatten?«
    »Nein, den Teil hat sie ausgelassen. Sie hat eine ganze Menge ausgelassen, da bin ich mir ziemlich sicher.«
    »Na ja, ich habe ein paar umbringen müssen. Ratten meine ich. Hab ihnen die armen kleinen Schädel mit einer Latte eingeschlagen, und ich weiß genau, die Vergeltung wird kommen. Übles Karma für die Nagetierkillerin. Wahrscheinlich wissen sie …« Ich brach ab. »Jeremy?«
    »Hm?«
    »Irgendwas hat mich am Fuß gestreift. Etwas Pelziges.«
    »Mach dir keine Sorgen. Es war tot.«
    »Tot?«
    »Ich habe es gerochen, aber ich dachte, ich lasse es unerwähnt und hoffe, du gehst einfach dran vorbei.«
    »Vorzugsweise ohne draufzutreten?«
    »Nächstes Mal sage ich Bescheid. Es kann allerdings schwierig sein, die genaue Position zu ermitteln. ›Übrigens, irgendwo hier in der Nähe liegt ein verwesender Kadaver‹ ist alles, was ich garantieren kann.«
    »Wenn ich’s mir recht überlege, Unwissenheit kann auch ein Segen sein. Wo also …« Ich brach ab, als mir ein überwältigender Gestank in die Nase stieg. »O Gott, die ist aber nicht mehr frisch.«
    »Nein, das ist nur das Nest.«
    »N-nest?«
    »Irgendwo in einem Nebengang, glaube ich. Wir sind gleich dran vorbei. Sie dürften uns keinen Ärger machen.«
    »Ach, richtig. Der Raubtiereffekt. Wie bei der Katze. Sie riechen dich und rennen weg?«
    »Mhm.«
    Keine wirklich beruhigende Antwort. Elena hatte mir einmal erzählt, dass Werwölfe andere Tiere verwirren mit ihrer Mischung aus Wolf und Mensch, und wenn sie verwirrt sind und sich zugleich einem größeren möglichen Raubtier gegenübersehen, dann flüchten sie. Mit den Ratten in Toronto hatten wir nur deshalb Probleme gehabt, weil sie krank gewesen waren und sich irrational verhalten hatten.
    Das Geschnatter wurde lauter in dem Maß, in dem der Gestank übler wurde. Schlamm quoll zwischen meinen Zehen hervor. Und wenn es kein Schlamm sein sollte, dann wollte ich Genaueres nicht wissen. Ich trat auf etwas, das unter meinem Fuß knackte, hart und dünn wie Zweige – oder Knochen.
    »Fast dran vorbei«, flüsterte Jeremy. »Wenn wir den Eingang zu dem Nest erreicht haben, bleibe ich stehen und schwinge dich drüber