Lockruf Des Mondes
nicht hinzufallen. Durch die Feuchtigkeit, die ihr den Blick vernebelte, konnte sie nicht sehen, was es war - doch es sind keine Tränen, sagte sie sich streng. Sie weinte nicht; es war nur die Kälte, die ihr in den Augen brannte und sie tränen ließ!
Hinter ihr waren plötzlich Stimmen, die von Cait und die der Soldaten. Emily begann, noch schneller zu gehen, um ihnen zu entkommen.
Plötzlich legte sich eine Hand auf ihre Schulter. »Bleibt stehen, Lady Sinclair.«
Es war die Stimme des blonden Soldaten. Sie wusste nicht, wie er hieß, und wollte es auch gar nicht wissen. Sie wollte gar nichts mehr von diesem ungastlichen Land wissen. Seine Schönheit verbarg einen furchtbaren Makel.
Emily versuchte weiterzugehen, aber der Soldat verstärkte seinen Griff um ihre Schulter und zwang sie, stehen zu bleiben. »Ihr müsst mit mir kommen.«
»Nein!« Sie riss sich von ihm los und begann zu rennen.
Doch er jagte ihr nach, und sie rannte noch schneller, wobei sie sich immer wieder erbittert über die Augen wischte, um etwas sehen zu können. Ihre Tunika verfing sich an einem Ast, und sie riss sie los, schürzte ihre Röcke dann, so hoch sie konnte, und rannte, so schnell ihre Beine sie trugen. Sie musste weg von hier.
Auch diesmal packte der Soldat sie ohne jede Vorwarnung.
Emily dachte nicht nach, bevor sie handelte, sondern folgte allein dem Instinkt, sich vor dem Mann zu schützen. Blitzschnell bückte sie sich nach einem Stück Treibholz auf dem Boden, holte damit aus und ließ es bei dem Soldaten genau auf die Stelle krachen, an der ein Mann am empfindlichsten war, wie ihr Vater seinen Töchtern beigebracht hatte.
Der Soldat schrie auf wie eine verbrühte Katze, griff sich zwischen die Beine und fiel mit schmerzverzerrter Miene auf die Knie.
Emily, die zu verstört war, um Bedauern zu empfinden, begann, wieder zu laufen, weil sie es diesmal bis in den Wald schaffen wollte, bevor ein anderer Soldat versuchte, sie zurückzuhalten. Und falls es Ulf war, der ihr folgte, würde er ihr mit Sicherheit wehtun, auch wenn Lachlan behauptet hatte, die Balmoral'schen Soldaten griffen keine Frauen an.
Ulf hasste sie - genau wie all die anderen Highlander sie hassten. Außer Cait. Emily hoffte nur, dass sie mit Drustan glücklich werden würde.
»Bleib stehen, Emily!«
Das war Lachlans Stimme, aber sie konnte ihm nicht gehorchen - andernfalls würde er sie auf seine Burg bringen, und ihr Herz würde an noch mehr Hass seitens seines Clans zerbrechen.
»Emily!«
Sie holte ihre letzte Kraft aus sich heraus, war jedoch noch immer meterweit vom Rand des Waldes entfernt, als ein schwerer Körper auf ihr landete und sie zu Boden stieß. Sie kämpfte wie eine Wildkatze, konnte das Gewicht aber nicht abschütteln, und egal, wie sehr sie sich bemühte, auf die Beine zu kommen, war sie doch einfach machtlos gegen ihn. Schließlich war sie so erschöpft und kraftlos, dass sie einfach liegen blieb.
Lachlan rollte sich von ihr und drehte sie auf den Rücken, bevor er sich erhob. »Warum bist du weggelaufen?«, fragte er mit vor Wut ganz angespannter Stimme und wie versteinertem Gesichtsausdruck.
Hasste er sie auch? »Bitte lass mich gehen!«
»Wohin, du dummes Frauenzimmer? Du kannst nirgendwohin gehen. Das musst du doch begreifen.«
Der salzige Geruch der See, der sie umgab, erinnerte sie, dass sie die Insel nicht verlassen konnte. »Ich will in den Wald ... Lass mich in den Wald gehen.«
»Hast du jetzt vollkommen den Verstand verloren? Da draußen wirst du nichts als wilde Tiere finden.«
»Zumindest werden sie mich nicht hassen. Bitte, Lachlan. Ich kann nicht auf die Burg hinauf. Ich will deinen Leuten nicht begegnen.«
»Du hast keine andere Möglichkeit.«
Emily erhob sich auf die Knie und rutschte von ihm weg.
»Wenn du wieder wegläufst, werde ich dich in einem Turm einsperren, und die Tür wird nur geöffnet, um dir die Mahlzeiten hineinzubringen.«
Emily sprang auf und rannte los. Sie war jedoch noch keine drei Schritte weit gekommen, da packte Lachlan sie schon wieder. Aber natürlich hatte sie auch nichts anderes erwartet.
Mit wutentbrannter Miene drehte er sie zu sich herum. »Ich meine, was ich sage, Mädchen.«
»Ja.« Heiße Tränen, die nicht mehr aufzuhalten waren, flossen über ihr Gesicht. »Sperr mich in den Turm ein, dann brauche ich wenigstens niemanden zu sehen und muss nicht ihren Hass ertragen.«
Es war ein viel besserer Plan als ihre unüberlegte Idee, im Wald Zuflucht zu suchen.
»Hass?
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