Lockruf Des Mondes
Denn das würde den Schluss zulassen, dass die Sinclairs ihn für zu schwach hielten, um Clan-Gesetze durchzusetzen, und dass seine Krieger ihre Frauen nicht zu schützen wussten.
Er würde sich eher mit England verbünden, als eine solche Einschätzung seines Clans unwidersprochen zu lassen. Die wirkungsvollste Botschaft für die anderen Highland-Clans würde jedoch keine Kriegserklärung, sondern gut geplante Rache sein. Wie er seinem Bruder schon gesagt hatte, als Ulf einen sofortigen Angriff auf die Sinclair'sche Festung vorgeschlagen hatte.
Auf einem erschöpften Pferd und selbst auch in nicht viel besserer Verfassung, betrachtete Emily ihr neues Zuhause mit einer Mischung aus Neugier und Beklommenheit.
Die Reise von den Besitzungen ihres Vaters ins schottische Hochland war lang und strapaziös gewesen. Kurz nachdem sie die Sinclair'schen Ländereien erreicht hatten, war eine Eskorte Krieger eingetroffen, um sie den Rest des Weges zu begleiten.
Emily war enttäuscht und erleichtert zugleich gewesen über die Entdeckung, dass ihr zukünftiger Ehemann nicht bei der Eskorte war. Ein Teil von ihr wollte die erste Begegnung mit ihm hinter sich bringen, ein sogar noch größerer Teil jedoch war froh darüber, sie auf unbestimmte Zeit hinauszuschieben.
Die Sinclair'schen Krieger hatten den englischen Soldaten jeden weiteren Zutritt zu den Ländereien ihres Clans verweigert. Sie hatten Emilys Begleitung übernommen, und sie musste leider feststellen, dass sie keine besonders unterhaltsame Gesellschaft waren. Sie sprachen nur, wenn sie gefragt wurden, und antworteten so einsilbig wie möglich. Ob ihr Zukünftiger wohl auch so wortkarg war?
Vielleicht würde sie sich besser fühlen, wenn die Leute aufhörten, sie so anzustarren. Keiner lächelte, nicht einmal die Kinder. Einige Erwachsene warfen ihr sogar ganz unverhohlen böse Blicke zu. Verwundert wandte Emily sich an den ihr am nächsten reitenden Soldaten. »Einige Clan-Mitglieder wirken richtig feindselig. Warum ist das so?«
»Sie wissen, dass Ihr Engländerin seid.«
Anscheinend musste ihr das als Erklärung genügen, denn schon verstummte er wieder, und nicht einmal ihre Neugier war groß genug, um sie dazu zu bringen, dem Mann noch mehr Fragen zu stellen.
Der Clan wusste also schon, dass sie Engländerin war? Das konnte nur bedeuten, dass sie von den Leuten bereits erwartet wurde.
Doch ihre Kleidung sprach ja auch für sich. Emily trug die dunkelblaue Tunika über dem weißen Unterkleid mit den modisch weiten Ärmeln zwar schon seit drei Tagen, und nach der langen Reise war sie ebenso zerknittert und verstaubt wie sie, doch auch wenn sie noch makellos gewesen wäre, hätte sie nicht die geringste Ähnlichkeit mit der Tracht der Highlander gehabt.
Jeder hier, sogar die Kinder, trugen grün, blau und schwarz karierte Plaids. Eine geschmackvolle Farbkombination, fand Emily. Einem der Männer ihrer Eskorte gegenüber hatte sie sogar eine anerkennende Bemerkung darüber fallen lassen - wenn auch hauptsächlich, um ihr Erstaunen darüber zu überspielen, dass die Unterschenkel der Männer so nackt waren wie am Tag ihrer Geburt.
Natürlich seien es schöne Farben; sie seien schließlich die der Sinclairs, hatte der Mann gebrummt.
Danach hatte Emily alle Versuche aufgegeben, Konversation zu betreiben.
Nun wandte sie ihre Aufmerksamkeit von der alles andere als freundlichen Bevölkerung der Burg der Sinclairs zu. Das Bauwerk überraschte sie. Emily war nicht sicher, was sie erwartet hatte, aber bestimmt nicht etwas, das ihrer elterlichen Burg so ähnlich war. Der Boden war zu einem Hügel aufgeschüttet worden, der von einem tiefen Burggraben umgeben war. Die Burg selbst, die wie ein einzelner hoher Turm aussah, befand sich oben auf der Hügelkuppe und war von einer Palisade umgeben. Diese Mauer aus dicht nebeneinander in die Erde gerammten Pfählen erstreckte sich bis zum Fuß des Hügels, um auch den Burghof zu umgeben.
Sie hatte sich wirklich nichts so Großartiges in den Highlands vorgestellt. Vielleicht war ihr zukünftiger Gemahl ja doch gar nicht so unkultiviert? Möglicherweise hatte er sogar ein gutes Herz und würde ihr erlauben, Abigail zu sich zu holen. Denn das war ihre inständigste Hoffnung.
Ihre Eskorte führte sie über die Zugbrücke auf die Feste zu.
Eine Gruppe Soldaten auf den Eingangsstufen der Burg erregte Emilys Interesse. Alle hatten die Arme vor der Brust verschränkt und starrten sie mit finsteren Gesichtern an. Ein in ihrer
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