Lockwood & Co. - Die Seufzende Wendeltreppe: Band 1 (German Edition)
von Glück sagen können, dass wir noch leben. Ich glaube, dass ich viel zu spät kapiert habe, was hier los ist, und dass ich unseren Gegner gewaltig unterschätzt habe. Ich habe als Leiter dieses Einsatzes versagt und das tut mir leid. Aber …«, er sprach durch die zusammengebissenen Zähne weiter, »aber damit ist jetzt Schluss.«
George und ich sahen ihn verständnislos an. »Aha«, sagte ich dann. »Und was bedeutet das?«
»Dass ich ein Brecheisen brauche!«, brüllte Lockwood so laut, dass George und ich zusammenfuhren. Er war herumgefahren und stürmte mit flatterndem Mantel durch den Raum. »Ein Brecheisen, einen Schraubenzieher, irgendwas! Beeilung! Wir haben keine Zeit zu verlieren!«
»Ich habe ein Brecheisen dabei«, sagte ich und hantierte an meinem Gürtel, »aber was …«
»Her damit!« Er riss mir das Werkzeug aus der Hand, lief zu der beschädigten Wand und rammte die Klinge zwischen zwei Steine. »Jetzt hockt doch nicht so herum!«, rief er ärgerlich über die Schulter. »Glaubt ihr, wir sind auf einem Picknick? Wir müssen hier raus!«
George stand auf. »Jetzt warte doch mal. Wir sind metertief unter der Erde. Wo willst du denn hin?«
»Dreht euch mal um.« Lockwood hebelte einen Stein heraus und sprang beiseite, als der schwere Brocken zu Boden polterte. »Wenn der Rauch hier rauskann, können wir das auch.«
Weder mir noch George war aufgefallen, dass sich der Rauch aus dem Brunnen nicht unter der Decke der Kammer sammelte, sondern in Schwaden über den Boden wallte und zwischen den Steinen der beschädigten Wand verschwand. »Der Rauch wird in irgendeinen größeren Raum gesogen«, sagte Lockwood. »Hinter dieser Wand muss der Keller des Hauses liegen. Die Explosion hat schon gute Vorarbeit geleistet. Wir brauchen die Öffnung nur noch zu vergrößern. Los, helft mir!«
Sein Tatendrang steckte George und mich an, sodass wir unsere Schmerzen und die Erschöpfung vergaßen. Wir machten uns mit Taschenmesser und einem zweiten Brecheisen ans Werk, hebelten die schon losen Steine heraus und lockerten die noch fest sitzenden. Auch Lockwood schuftete weiter und zerrte zwischendurch mit bloßen Händen an den Steinen. Seine Augen funkelten und seine Lippen bildeten eine schmale weiße Linie.
»Genau genommen hatten wir es heute Nacht mit zwei Gegnern zu tun«, sagte er und hieb auf den Mörtel ein. »Sie hängen scheinbar zusammen, sind aber von ihrer Natur her grundverschieden. Den ersten Gegner, die Heimsuchung von Combe Carey Hall, haben wir so gut wie besiegt. Wenn die Geister der Mönche erst endgültig gebannt sind, wird es nicht schwer sein, nach und nach auch die übrigen Besucher unschädlich zu machen. Unser zweiter Gegner allerdings …«, er legte das Brecheisen weg und half George, einen größeren Brocken herauszuwuchten, »… ist unser Freund John William Fairfax, und mit dem sind wir noch lange nicht fertig.«
Der Brocken löste sich, kippte nach vorn und zerbarst auf dem Fußboden. Ich räumte den Schutt rasch weg und Lockwood und George fielen wieder über die schon reichlich durchlöcherte Wand her.
»Was ist denn mit Fairfax?«, fragte ich.
»Mir war von Anfang an klar, dass an diesem Auftrag etwas faul ist. Seine Einladung hierher war mehr als nur ein bisschen seltsam. Sicher, die Konditionen waren verlockend, aber das machte es nur noch seltsamer. Warum ist Fairfax ausgerechnet zu uns gekommen, wo er in London eine Riesenauswahl an Agenturen hat? Warum ist er nicht zu Fittes oder Rotwell gegangen? Unser Ruf ist schließlich momentan etwas … angeknackst, aber er hat behauptet, er wäre von uns beeindruckt.«
»Na ja … er hat doch erzählt, dass er es als junger Mann auch schwer hatte, sich durchzusetzen.« Ich zog an einem Stein. »Er hat gesagt, ihm gefällt unser Ehrgeiz und unsere … Füße weg! … das wollte ich nicht, George … unsere Unabhängigkeit.«
Lockwood verzog verächtlich das Gesicht. »Stimmt, das hat er gesagt. Eine ziemlich fadenscheinige Behauptung, wenn man die Zeitungsartikel über ihn gelesen hat und weiß, dass er die Firma und sein Vermögen von seinem Vater geerbt hat. Aber außer der Frage, warum er uns gewählt hat, waren da noch drei andere Fragen, die mich beschäftigten. Erstens: warum jetzt? Er besitzt das Haus schon Jahre, also warum ist ihm erst jetzt eingefallen, die Heimsuchung auszutreiben? Zweitens: Warum hatte er es so eilig? Unglaubliche zwei Tage, um uns auf den Einsatz vorzubereiten! Und drittens: Warum in aller
Weitere Kostenlose Bücher