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Lockwood & Co. - Die Seufzende Wendeltreppe: Band 1 (German Edition)

Lockwood & Co. - Die Seufzende Wendeltreppe: Band 1 (German Edition)

Titel: Lockwood & Co. - Die Seufzende Wendeltreppe: Band 1 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Stroud
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und sein Mantel bedeckte wie ein gebrochener Flügel den Boden hinter seinem Rücken. Er rührte sich nicht. Mit der Asche schicht auf dem Gesicht glich er einer Alabasterstatue: glatt, weiß und kalt. Ein Stein hatte ihn am Kopf getroffen, er hatte Blut im Haar. Ich beugte mich über ihn und wischte ihm behutsam die Asche von der Stirn.
    Er schlug die Augen auf und starrte mich an.
    Ich räusperte mich. »Hallo, Lockwood.«
    Erst blickte er verwirrt, dann erkannte er mich.
    »Ach so … Lucy.« Er blinzelte, musste husten, versuchte sich aufzurichten. »Ich dachte schon, du wärst … egal. Wie geht’s dir? Alles in Ordnung?«
    Ich richtete mich rasch wieder auf. »Mir geht’s gut.«
    George beobachtete uns durch seine gesprungene Brille. »Das ist ungerecht.«
    »Was ist ungerecht?«
    » Ihn hast du natürlich nicht geschüttelt. Ihm hast du keine runtergehauen.«
    »Reg dich ab. Ich hol’s beim nächsten Mal nach.«
    »Na super. Und mir verpasst du dann sicher einen Tritt.«
    »Mach ich. Versprochen.«
    Der erleuchtete Rauch drang weiter aus dem Schacht und in seinem silbrigen Schein inspizierten wir unsere Blessuren. Im Großen und Ganzen hatten wir Glück gehabt, aber Lockwood und George hatten Platzwunden davongetragen, und uns allen saß der Schreck in den Gliedern. Unsere Degen waren noch da, aber alles Salz und alle Eisenspäne waren verbraucht. George hatte noch seine Reservekette über der Schulter, wogegen Lockwood und ich alle unsere Ketten in den Brunnen geworfen hatten.
    Also teilten wir erst einmal die restlichen Marmeladenbrote und Energydrinks unter uns auf. George und ich hockten beim Essen der Wärme halber dicht aneinandergedrängt auf einem Trümmerbrocken. Lockwood stand ein paar Schritte abseits und blickte mit steinerner Miene in die Rauchsäule.
    »Wir hätten uns den Brunnen gleich vornehmen sollen«, sagte George kauend, »aber dieser fürchterliche Lärm hat uns abgelenkt. War doch eigentlich klar, dass die Quelle dort sein musste, wo die Gebeine der toten Mönche liegen.«
    Ich nickte wortlos. Ja, dort waren sie gestorben – nachdem man sie aneinandergefesselt und die Treppe hinuntergetrieben hatte. Sie wussten, was ihnen bevorstand. Die Wendeltreppe und die Wände der Brunnenkammer waren immer noch mit ihrer Todesangst getränkt.
    »Ich denke, ich weiß jetzt, wie das alles zusammenpasst«, fuhr George fort. »Die Geister der Mönche waren so alt und ihr Tod so grausam, dass sie von dem ganzen Gebäude Besitz ergriffen haben. Daraus entsprangen all die anderen Besucher. Wegen dem, was hier unten passiert ist, verloren so viele spätere Bewohner den Verstand und begingen schreckliche Taten.«
    »Du meinst die mordlustigen Herzöge und lebensmüden Ladys, von denen der alte Starkins gar nicht genug kriegen kann?« Ich schluckte den letzten Bissen von meinem Brot hinunter. »Glaubst du, damit ist es jetzt vorbei?«
    »Hoffentlich.« George blickte zu der Rauchsäule hinüber. »Diese Leuchtbombe hat eine ganze Menge Eisen, Silber und Magnesium da hinunterbefördert. Wenn wir Glück haben, hat sich das Zeug bei der Explosion mit den Knochen vermischt und es herrscht wenigstens so lange Ruhe, bis wir den Brunnen fachgerecht verplombt haben. Die Treppe müsste jedenfalls erst mal sicher sein und das Rote Zimmer wahrscheinlich auch.«
    »Meinst du, die Blutströme hatten auch mit den Mönchen zu tun?«
    »Ich denke mal, das Blut war eine ihrer vielen Erscheinungsformen. Im Roten Zimmer waren sie das Blut, auf der Wendeltreppe die kreischenden Schatten – typisch Wandler. Hier unten haben sie sich dann sogar körperlich manifestiert, aber das war nicht ihre Lieblingserscheinung. Wenn ich ›sie‹ sage, ist das eigentlich falsch, denn sie haben sich sozusagen zu einem einzigen Geist verbündet, daher waren sie auch so mächtig. Solche Bündnisse sind gar nicht so selten. Erinnerst du dich noch an die berühmte Heimsuchung von Schloss Sherborne?«
    »Weiß nicht … Was glaubst du, Lockwood? Du bist so still.«
    Lockwood antwortete nicht sofort. Er schaute immer noch in die Rauchsäule, vor der sich seine lange Gestalt dunkel abzeichnete. Sein zerfetzter Mantel erinnerte jetzt an das sturmzerzauste Gefieder eines großen Vogels. »Was ich glaube?«, wiederholte er schließlich. »Ich glaube, dass wir zum zweiten Mal nur knapp dem Tod entronnen sind.« Er drehte sich um. Sein Gesicht war blutverschmiert, das Haar zerrauft, und wenn er sich bewegte, stäubte Asche auf. »Ich glaube, dass wir

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