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Lockwood & Co. - Die Seufzende Wendeltreppe: Band 1 (German Edition)

Lockwood & Co. - Die Seufzende Wendeltreppe: Band 1 (German Edition)

Titel: Lockwood & Co. - Die Seufzende Wendeltreppe: Band 1 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Stroud
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sich herziehend. Schon streckte es die schmalen, bleichen Hände nach Lockwoods Gesicht aus …
    Ohne nachzudenken, riss ich eine Büchse vom Gürtel.
    Die Büchse flog glatt durch den Geist hindurch und krachte gegen die Wand. Der Glasdeckel zerbrach. Magnesiumflammen züngelten empor und erfassten das Mädchen, das hinter dicken Rauchwolken verschwand. Lockwood warf sich zur Seite. Er hatte glühende Eisenspäne im Haar.
    Griechisches Feuer ist an sich eine gute Sache. Die Mischung aus Eisen, Magnesium und Salz fügt dem Besucher gleich dreifach Schaden zu. Das Salz und das glühende Eisen fressen sich durch seine Substanz, das grelle Licht der Magnesiumflammen verursacht ihm unerträgliche Schmerzen. Der Haken dabei ist, dass das Feuer zwar rasch wieder erlischt, aber vorher noch alles Mögliche in Brand stecken kann. Darum warnt der Leitfaden eindringlich davor, Griechisches Feuer in geschlossenen Räumen zu verwenden –, es sei denn unter kontrollierten Bedingungen.
    Ein Arbeitszimmer voller Papier und ein ungewöhnlich rachsüchtiger Wiedergänger dürften diese Anforderung wohl kaum erfüllen.
    Von irgendwoher ertönte ein zorniger Schmerzensschrei. Der übernatürliche Wind, der sich vorübergehend gelegt hatte, kehrte mit neuer Gewalt zurück. Er wirbelte brennende Papierfetzen auf und trieb sie mir ins Gesicht. Ich schlug sie mit den Händen weg, sah sie davonwirbeln, von einer unsichtbaren Kraft gelenkt. Eine Bö trieb sie durch den Raum, wo sie sich auf Bücher und Regale senkten, auf den Schreibtisch und die Vorhänge, auf die abgerissene Tapete, die Papierstapel, den eingestaubten Sessel …
    Hunderte kleiner Feuer flammten auf wie Sterne am Abendhimmel, eins nach dem anderen, oben, unten, einfach überall.
    Lockwood hatte sich aufgerappelt, seine Haare und sein Mantel qualmten. Er schlug den Mantel zurück und hatte im nächsten Augenblick den blitzenden Degen in der Hand. Sein Blick war auf die Ecke hinter mir gerichtet. Inmitten der umherwirbelnden Papiere materialisierte sich eine Gestalt.
    »Lucy!«, übertönte Lockwood das Geheul des Windes. »Plan E! Wir gehen nach Plan E vor!«
    Plan E? Was zum Teufel war Plan E? Lockwood entwarf ständig neue Pläne. Außerdem ist es nicht leicht, einen klaren Gedanken zu fassen, wenn überall um einen herum Zeitschriftenstapel in Flammen aufgehen und der Rückweg in den rettenden Flur plötzlich durch Rauch und züngelndes Feuer unmöglich gemacht wird.
    »Die Tür, Lockwood!«, schrie ich.
    »Egal! Ich lenke sie ab! Du verplombst die Quelle!«
    Jetzt fiel es mir wieder ein – das war Plan E. Den Besucher vom eigentlichen Schauplatz weglocken. Schon tänzelte Lockwood mit dreistem Selbstvertrauen durch den Rauch auf den lauernden Wiedergänger zu. Brennendes Papier streifte sein Haar, aber er achtete nicht darauf. Den Degen hielt er gesenkt. Es sollte aussehen, als sei er wehrlos. Das Mädchen stürzte sich auf ihn. Lockwood sprang zurück und parierte in letzter Sekunde ihre ausgestreckte Hand mit dem Degen. Ihre langen Haare, die kaum von den Rauchschwaden zu unterscheiden waren, wollten sich um ihn schlingen. Er duckte sich weg und hieb die Strähnen durch. Ich konnte der Degenklinge kaum mit den Augen folgen, so blitzschnell sauste der Stahl durch die Luft. Dabei zog er sich Schritt für Schritt zurück, lockte den Geist von der aufgebrochenen Wand weg und verschaffte mir freie Bahn.
    Ich stürzte zur Wand und kämpfte gegen den tobenden Wind an. Er traf mich mit voller Wucht, heulte und kreischte nun mit menschlicher Stimme. Funken flogen mir ins Gesicht und ich bekam kaum noch Luft. Flammen züngelten auf, griffen nach mir, als ich mich an ihnen vorbeikämpfte. Der Sturm wütete immer heftiger. Ich kam nur noch zentimeterweise voran, aber ich gab nicht auf.
    Die Bücherregale zu beiden Seiten des alten Kamins hatten sich in Flammenwände verwandelt. Loderndes Feuer schlängelte sich wie Quecksilber über den Boden. Im Widerschein der Flammen leuchtete der Putz an der Wand rötlich. Die Öffnung war ein schwarzes Loch, der Inhalt kaum zu erkennen. Hinter dem Spinnwebschleier ahnte ich ein lippenloses Lächeln.
    Ein Anblick wie dieser tut niemandem gut. Er lenkt einen von der eigentlichen Aufgabe ab. Ich schüttelte das Netz auf.
    Schritt für Schritt kämpfte ich mich voran, noch einer … dann stand ich davor. Ich hätte das Mädchen aus der Nähe betrachten können, aber ich wandte den Blick von ihrem Gesicht ab. Kleine Spinnen hingen in den Netzen.

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