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Lockwood & Co. - Die Seufzende Wendeltreppe: Band 1 (German Edition)

Lockwood & Co. - Die Seufzende Wendeltreppe: Band 1 (German Edition)

Titel: Lockwood & Co. - Die Seufzende Wendeltreppe: Band 1 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Stroud
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niedliches Stupsnäschen, volle Lippen und große Rehaugen. Genau die Sorte Mädchen, die ich instinktiv noch nie hatte leiden können – sanft und dumm, aber wenn es drauf ankommt, gerissen genug, um dank ihres Charmes alles zu erreichen, was sie wollen. So standen wir nebeneinander. Sie mit langen blonden Haaren, ich mit meinen kastanienbraunen, vom Gipsstaub beschneiten. Sie mit nackten Beinen im Sommerkleid, ich fröstelnd in Rock, Leggings und gefütterter Jacke. Wäre die Bannlinie nicht gewesen, hätten wir die Hände ausstrecken und einander die Wangen streicheln können. War es vielleicht das, was sie wollte? War sie zornig, weil sie sich ausgeschlossen fühlte? Ihre Miene verriet nichts, aber ihre Wut brandete gegen mich an wie eine Welle.
    Ich hob die Hand mit dem Netz zu einem ironischen Gruß. Sofort traf mich ein eisiger Windstoß und peitschte mir die Haare ins Gesicht. Der Luftstoß traf auch die Bannlinie und verschob die Späne.
    »Mach schon!«, sagte ich über die Schulter.
    Lockwood ächzte. Holz splitterte.
    Plötzlich geriet das ganze Zimmer in Aufruhr. Zeitschriften blätterten sich raschelnd auf, Bücher fielen polternd aus den Regalen, staubige Papiere flatterten von ihren Stapeln auf wie Vögel. Der Wind drückte mir die Jacke an den Körper und fegte heulend an den Wänden entlang. Weder die Haare noch das Kleid des Mädchens wehten. Sie sah ungerührt durch mich hindurch, als wäre von uns beiden ich diejenige, die nur noch aus Luft und Erinnerung bestand.
    Die Eisenspäne zu meinen Füßen wurden aufgewirbelt.
    »Beeilung!«, rief ich.
    »Bin gleich so weit. Gib mir schon mal die Plombe.«
    Ich drehte mich um – wobei ich höllisch aufpasste, nicht über die Linie zu treten – und reichte Lockwood das Silbernetz. Er warf sich ein letztes Mal gegen das Brecheisen und das Brett gab endlich nach. Es brach am unteren Ende mittendurch und riss gleich noch zwei weitere Bretter heraus, mit denen es durch eine aufgenagelte Leiste verbunden war. Das Brecheisen hatte plötzlich keinen Widerstand mehr. Lockwood verlor das Gleichgewicht und wäre aus dem Kreis gekippt, wenn ich ihn nicht gepackt hätte. Wir hielten einander schwankend umschlungen. »Danke, Luce«, sagte Lockwood grinsend. »Das wäre beinah schiefgegangen.« Ich nickte erleichtert.
    Im selben Augenblick lösten sich die Bretter, polterten zu Boden und gaben den Blick auf das frei, was dahinter lag.
    Wir hätten darauf gefasst sein können, aber es war trotzdem ein Schock. Wenn man solch einen Schreck bekommt, weicht man unwillkürlich zurück, was keine gute Idee ist, wenn man ohnehin nur gerade so noch das Gleichgewicht hält. Ich konnte nur einen kurzen Blick in die Öffnung werfen, dann verloren wir die Balance und stürzten eng umschlungen zu Boden. Lockwood landete oben, ich unten. Außerhalb des schützenden Eisenkreises.
    Aber ich hatte genug gesehen. Genug, um das Bild in mein Gedächtnis einzubrennen.
    Ihr blondes Haar war unversehrt, aber es war von Schmutz und Ruß verklebt und unter einem Spinnwebschleier halb verborgen. Alles Übrige war kaum noch zu erkennen: Knochen, gebleckte Zähne und runzlige Haut, schwarz wie Holzkohle. Sie lag zusammengerollt auf dem Lager aus Ziegelsteinen, und das schon seit mindestens fünfzig Jahren. Die Träger des Sommerkleids hingen lose über den vorstehenden Knochen. Unter einer Spinnwebschicht leuchteten gelbe Sonnenblumen hervor.
    Ich schlug mit dem Hinterkopf auf den Boden. Grelle Lichter zuckten vor meinen Augen. Dann plumpste Lockwood auf mich drauf und mir blieb die Luft weg.
    Die Lichter gingen aus. Als ich wieder zu mir kam und die Augen öffnete, lag ich auf dem Rücken, hatte das Silbernetz aber noch in der Hand. Wenigstens etwas.
    Aber den Degen hatte ich schon wieder fallen lassen.
    Lockwood hatte sich bereits von mir heruntergewälzt und ein Stück entfernt. Ich rollte mich auf die Seite, kam auf die Knie und hielt panisch nach meiner Waffe Ausschau.
    Aber was musste ich stattdessen sehen? Einen von unserem Sturz völlig zerstörten Schutzkreis und Lockwood am Boden kniend, vornübergebeugt, sodass ihm das Haar ins Gesicht fiel, als er verzweifelt versuchte, seinen Degen unter seinem langen, schweren Mantel hervorzuziehen. Während das Geistermädchen direkt über ihm schwebte.
    »Pass auf, Lockwood!« Er hob den Kopf. Weil er auf seinem Mantelsaum kniete, kam er nicht richtig an seinen Degen heran.
    Das Mädchen ließ sich tiefer sinken, Wirbel aus Anderlicht hinter

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