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Lockwood & Co. - Die Seufzende Wendeltreppe: Band 1 (German Edition)

Lockwood & Co. - Die Seufzende Wendeltreppe: Band 1 (German Edition)

Titel: Lockwood & Co. - Die Seufzende Wendeltreppe: Band 1 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Stroud
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Das war nichts Ungewöhnliches. Mein Blick fiel auf das zerfetzte Kleid, den knochigen Hals – und dann sah ich plötzlich etwas aufblitzen.
    Eine dünne Goldkette.
    Von Wind und Feuer umtost, stand ich mit dem Silbernetz in der Hand vor der Öffnung. Der Anhänger an der Kette funkelte in der schauerlichen Lücke zwischen Kleid und Rippen. Das Mädchen hatte sich das Schmuckstück einst um den Hals gelegt, weil es schön aussehen wollte. Nach so vielen Jahren glänzte das Gold immer noch, aber der Hals und alles Übrige waren schwarz, verschrumpelt und leblos.
    Mitleid überwältigte mich.
    »Wer hat dir das angetan?«, sagte ich halblaut.
    »Lucy!« Bei Lockwoods Schrei wandte ich den Kopf. Das Geistermädchen kam mit ausdruckslosem Gesicht und starrem Blick durch die Flammen auf mich zu, die Arme ausgestreckt, als wolle sie mich umarmen.
    Auf so eine Umarmung konnte ich gern verzichten. Ich bückte mich, streckte die Hand in die Öffnung, und die Spinnen krabbelten aufgeschreckt davon. Ich wollte das Silbernetz über die Leiche legen, aber eine Masche hatte sich an einem Holzspan verfangen. Das Mädchen hatte mich schon fast erreicht. Ich zerrte an dem Netz und der Span brach ab. Mit fliegenden Fingern und einem Aufschluchzen breitete ich das Netz über das spröde Haar, über Kopf und Körper. Die Maschen aus Eisen und Silber umschlossen die Leiche wie ein Käfig.
    Sofort hielt das Mädchen inne; es erstarrte. Ein Seufzer, ein leiser Klagelaut, ein Erschauern. Sein Haar fiel nach vorn und verdeckte sein Gesicht. Das Anderlicht um seine Gestalt wurde schwächer, schwächer, noch schwächer …
    … und erlosch. Sie war verschwunden, als hätte es sie nie gegeben.
    Im selben Augenblick war auch die fremde Macht verschwunden, die von dem Haus Besitz ergriffen hatte. In meinen Ohren knackte es, der Druck war weg. Der eisige Wind erstarb. Nur die brennenden Papierfetzen überall im Zimmer waren noch da und schwebten langsam zu Boden.
    Das Übliche eben, wenn man die Quelle einer Heimsuchung erfolgreich neutralisiert hat.
    Ich holte tief Luft – und lauschte …
    Tatsächlich. Im Haus war alles still. Das Mädchen war fort.
    Mit »still« meine ich natürlich nur die Stille auf der übernatürlichen Ebene. Man hörte weiterhin das Feuer brausen und das Arbeitszimmer verwüsten. Inzwischen stand hier und dort auch der Dielenboden in Flammen. Unter der Decke sammelte sich der Rauch. Die Zeitschriftenstapel, die wir zur Tür geschleppt hatten, brannten lichterloh. Das Feuer drang sogar schon in den Flur vor.
    Lockwood rief etwas, fuchtelte mit den Armen und zeigte auf das Fenster.
    Ich nickte ihm zu. Das Feuer war nicht mehr aufzuhalten. Bald würde das ganze Haus in Flammen aufgehen. Trotzdem drehte ich mich noch einmal nach der Öffnung in der Wand um, griff unter das Netz, unterdrückte den Gedanken daran, womit ich dabei in Berührung kam, und tastete nach der Goldkette, dem Einzigen, was noch daran erinnerte, wer das Mädchen einst gewesen war. Als ich daran zog, löste sich die Kette so leicht, als sei der Verschluss offen gewesen. Dann stopfte ich alles – Kette, Anhänger, Staub und Spinnweben – in meine Jackentasche und lief im Zickzack zwischen den Brandherden hindurch zum Fenster.
    Lockwood war schon auf den Schreibtisch gesprungen und hatte die brennenden Papiere mit dem Fuß auf den Boden gefegt. Er rüttelte am Fenstergriff. Aber der klemmte entweder oder das Fenster war abgeschlossen, jedenfalls ließ es sich nicht öffnen. Lockwood trat gegen den Rahmen. Die Verriegelung barst. Mit einem Satz stand ich neben ihm. Zum ersten Mal seit Stunden atmeten wir wieder frische, feuchte, neblige Luft.
    Eingerahmt von den brennenden Vorhängen knieten wir nebeneinander auf dem Fensterbrett. Auf der Wiese draußen zeichneten sich unsere Schattenrisse, gerahmt von einem Rechteck aus flackerndem Licht, ab.
    »Alles klar?«, fragte Lockwood. »Hast du beim Verplomben was abgekriegt?«
    »Nein. Alles bestens.« Ich grinste schief. »Tja, dieser Fall wäre dann wohl auch gelöst.«
    »Mrs Hope freut sich bestimmt. Ihr Haus brennt zwar ab, aber immerhin ist es jetzt besucherfrei.« Er sah mich an. »Wollen wir?«
    Ich spähte nach unten, aber es war zu dunkel, und der Boden war zu weit weg, als dass ich die Entfernung hätte abschätzen können.
    »Keine Sorge«, sagte Lockwood. »Ich bin ziemlich sicher, dass ich dort vorhin ein paar schöne dicke Büsche gesehen habe.«
    »Dann ist ja gut.«
    »Und eine Terrasse. Aus

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