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Lockwood & Co. - Die Seufzende Wendeltreppe: Band 1 (German Edition)

Lockwood & Co. - Die Seufzende Wendeltreppe: Band 1 (German Edition)

Titel: Lockwood & Co. - Die Seufzende Wendeltreppe: Band 1 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Stroud
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schwarz gestrichene Haustür. Ich läutete nicht, sondern trat einfach über die Linie und klopfte. Es dauerte nicht lange, bis ein untersetzter, dicklicher Junge mit strubbligen Haaren und einer kleinen runden Brille die Tür öffnete.
    »Oh, noch eine«, stellte er fest. »Ich dachte, wir wären für heute durch. Oder bist du die Neue von Arif?«
    »Wer ist Arif?«
    »Ihm gehört der Laden an der Ecke. Um diese Zeit schickt er normalerweise jemanden mit einer Ladung Donuts rüber. Aber du hast ja keine Donuts dabei.« Es klang enttäuscht.
    »Aber dafür einen Degen.«
    »Dann willst du dich bestimmt bei uns bewerben«, sagte der Junge seufzend. »Name?«
    »Lucy Carlyle. Sind Sie Mr Lockwood?«
    »Ich? Nö.«
    »Kann ich trotzdem reinkommen?«
    »Klar. Vor dir ist grade noch ein Mädchen gekommen. Aber so wie die aussah, bleibt sie nicht lange.«
    Bei seinem letzten Wort schallte ein Entsetzensschrei aus dem Haus und brach sich an den efeubewachsenen Mauern des kleinen Hofes. In der ganzen Straße flatterten die Vögel auf. Auch ich fuhr zusammen und griff instinktiv nach meinem Degen. Der Schrei verebbte in gedämpftem Gewimmer. Ich starrte mit weit aufgerissenen Augen den Jungen in der Türöffnung an, der mit keiner Wimper gezuckt hatte.
    »Was hab ich gesagt? Du bist die Nächste. Komm.«
    Weder der Junge noch der Schrei flößten mir sonderlich viel Vertrauen ein und ich wäre am liebsten wieder gegangen. Aber nach zwei erfolglosen Wochen war ich mit meinem Latein am Ende. Wenn ich auch hier kein Glück hatte, musste ich mich wie alle anderen Versager bei der städtischen Nachtwache bewerben. Außerdem verriet mir irgendetwas an der Körperhaltung des Jungen, dass er fest mit meiner Flucht rechnete. Diese Genugtuung gönnte ich ihm nicht. Ich ging entschlossen an ihm vorbei und stand nun in einer großen, kühlen Eingangshalle.
    Der Parkettboden wurde von Regalen aus dunklem Mahagoni an den Wänden gesäumt. Darin waren exotische Masken und anderer Krimskrams ausgestellt: Steingutkrüge und Ikonenbilder, bemalte Muscheln und Flaschenkürbisse. Gleich neben der Tür stand ein Tischchen mit einer Lampe in Form eines gläsernen Totenkopfs. Daneben diente ein großer Porzellanübertopf als Aufbewahrung für Regenschirme, Spazierstöcke und Degen. Vor einer Garderobe machte ich halt.
    »Augenblickchen noch«, sagte der Junge. Er stand immer noch in der offenen Tür.
    Er war ein bisschen älter als ich, aber nicht so groß, dafür deutlich breiter. Abgesehen von dem kräftigen Kinn hatte er weiche, unauffällige Gesichtszüge. Hinter der Brille blitzten sehr blaue Augen. Der rotblonde störrische Schopf fiel ihm tief in die Stirn. Er trug ausgewaschene Jeans, ein lose in den Hosenbund gestecktes Hemd und weiße Turnschuhe.
    »Ist gleich so weit«, verkündete er.
    Die Stimmen, die bis zu uns drangen, wurden lauter. Eine Tür flog auf und ein schick gekleidetes Mädchen kam herausgestürmt. Ihre Augen waren schreckgeweitet, das Gesicht weiß wie ein Laken. Sie schleifte ihren Mantel hinter sich her, warf mir einen ebenso wütenden wie abschätzigen Blick und dem Jungen neben mir ein Schimpfwort zu, verpasste der Haustür beim Hinausgehen einen Tritt und war im nächsten Augenblick verschwunden.
    »Hmm«, machte der Junge gelassen. »Definitiv eine Kandi datin für die zweite Runde, würde ich sagen.« Er schloss die Tür und kratzte sich die Nase. »Na dann … auf geht’s!«
    Er führte mich in ein sonnendurchflutetes, hell gestrichenes Wohnzimmer, in dem weitere Artefakte und kultische Gegenstände zu bestaunen waren. Zwei Sessel und ein Sofa waren um einen niedrigen Tisch gruppiert. Daneben stand ein großer schlanker Junge in dunklem Anzug. »Du hast die Wette verloren, George«, sagte er. »Ich hab’s ja gewusst, dass noch eine kommt.«
    Als ich auf ihn zuging, ließ ich gewohnheitsmäßig alle meine Wahrnehmungen spielen – auch die übersinnlichen. Damit mir auf keinen Fall etwas entging.
    Das Erste, was mir auffiel, war ein rundlicher Gegenstand auf dem Sofatisch, der mit einem grün-weiß gepunkteten Taschentuch zugedeckt war. Hatte dieser Gegenstand vielleicht etwas mit dem Schreikrampf meiner Vorgängerin zu tun? Das Geräusch, das ich außerdem wahrnahm, war so leise, dass ich mich sehr darauf hätte konzentrieren müssen, um es zu identifizieren. Aber dann würde ich wie eine Salzsäule dastehen, was bei einem Bewerbungsgespräch nicht unbedingt vorteilhaft ist. Also gab ich meinem Gegenüber einfach

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