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Lockwood & Co. - Die Seufzende Wendeltreppe: Band 1 (German Edition)

Lockwood & Co. - Die Seufzende Wendeltreppe: Band 1 (German Edition)

Titel: Lockwood & Co. - Die Seufzende Wendeltreppe: Band 1 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Stroud
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die einzige Überlebende des Massakers in der Wassermühle von Wythburn saß. Was konnte mich noch schrecken?
    Lockwood nickte. »Dann fangen wir doch mal hiermit an.« Er fasste mit einer lässigen Geste das gepunktete Tuch an einem Zipfel, sah mich noch einmal bedeutungsvoll an und zog das Tuch mit einem Ruck weg.
    Auf dem Sofatisch stand eine gedrungene Flasche aus dickwandigem Glas, die mit einem roten Pfropfen verschlossen war. Am oberen Ende waren zwei kleine Henkel angebracht, die mich an die Ballonflaschen erinnerten, in denen mein Vater sein Bier gebraut hatte. Doch statt mit brauner Flüssigkeit war dieses Gefäß mit schmierigem gelben Dunst gefüllt, der träge auf und ab waberte.
    In seinen Tiefen lauerte etwas Großes, Dunkles.
    »Womit haben wir es Ihrer Meinung nach hier zu tun?«, fragte Lockwood.
    Ich beugte mich vor. Bei näherer Betrachtung war zu erkennen, dass mehrere Ringe und doppelte Plomben den Stöpsel des Gefäßes sicherten. Die Glaswand trug ein eingeprägtes Symbol: eine strahlende Sonne, die zugleich wie ein Auge aussah.
    »Das ist ein Silberglas der Firma Sunrise«, sagte ich.
    Lockwood nickte freundlich lächelnd. Ich beugte mich noch weiter vor. Mit dem Fingernagel klopfte ich gegen die Glaswand. Der Dunst reagierte sofort und zog sich an der Stelle zu körnigen Schwaden zusammen. Als sie sich teilten, enthüllten sie den Gegenstand in dem Glas – einen Menschenschädel, braun und fleckig, der am Boden des Gefäßes befestigt war.
    Die Dunstschwaden wanden und zogen sich zusammen; sie nahmen das schauerliche Aussehen eines Gesichts an, mit geweiteten, verdrehten Augen und einem zum Schrei aufgerissenen Mund. Die grässlichen Züge legten sich für einen Augenblick über den Totenschädel. Unwillkürlich fuhr ich zurück. Das Gesicht löste sich in strudelnde Rauchfetzen auf, dann waberte der Dunst wieder formlos vor sich hin und kam schließlich zur Ruhe.
    Ich räusperte mich. »Ähem … Das ist ein Geisterglas. Der Schädel ist die Quelle und der Geist ist an ihn gebunden. Was für eine Art Geist es ist, weiß ich nicht. Vielleicht ein Phantasma oder ein Wiedergänger.«
    Ich lehnte mich dabei betont lässig zurück, als hätte ich es tagtäglich mit in Gläser gebannten Geistern zu tun. In Wahrheit war es das erste Mal und ich hatte einen Riesenschreck bekommen. Allerdings war ich nicht ganz unvorbereitet gewesen. Der Aufschrei meiner Vorgängerin hatte mich gewarnt und von Geistergläsern hatte ich zumindest schon gehört.
    Lockwoods Lächeln wirkte etwas gezwungen, als wüsste er nicht recht, ob er erstaunt, erfreut oder enttäuscht sein sollte. »Das ist richtig«, sagte er. »Gut gemacht.« Er legte das Tuch wieder über das Glas und stellte es unter den Tisch.
    George trank schlürfend einen Schluck Tee und brummte: »Sie hat gezittert. Ich hab’s genau gesehen.«
    Ich überhörte die Bemerkung. »Wo haben Sie das Glas her?«, fragte ich. »Ich dachte, nur Rotwell und Fittes besitzen Geistergläser.«
    »Für Fragen ist nachher noch Gelegenheit«, erwiderte Lockwood, zog in dem Sofatisch eine Schublade auf und holte einen roten Kasten heraus. »Jetzt würde ich gern Ihre Gabe testen. Ich habe etwas vorbereitet. Bitte sagen Sie mir, sofern Sie können« – er entnahm dem Kästchen einen Gegenstand und stellte ihn auf den Tisch –, »welche übernatürlichen Resonanzen Sie hier wahr nehmen.«
    Es war ein Porzellanbecher, an dessen Henkel ein Stück abgesplittert und dessen Innenseite seltsam verfärbt war. Eine weißliche Ablagerung zog sich vom Rand bis zum Boden, wo sie sich zu einer Kruste verdickte.
    Ich nahm den Becher in die Hand und schloss die Augen. Dann drehte ich den Becher hin und her und ließ meine Finger sacht über die Oberfläche gleiten.
    Ich lauschte. Wartete auf irgendwelche Echos … Ich hörte nichts.
    Das war gar nicht gut. Ich schüttelte den Kopf, verdrängte alle störenden Gedanken, blendete den Straßenlärm vor dem Fenster und Georges lautes Schlürfen mir gegenüber aus. Ich versuchte es noch einmal.
    Fehlanzeige.
    Ich wartete noch ein paar Minuten, dann gab ich es auf. »Es tut mir leid«, sagte ich schließlich, »ich kann absolut nichts feststellen.«
    Lockwood nickte. »Zum Glück. Das ist nämlich Georges Zahnputzbecher. Gut. Weiter geht’s.« Er warf George den Becher zu, der ihn feixend auffing.
    Mir wurde heiß und kalt, das Blut stieg mir in die Wangen. Ich nahm meinen Rucksack und stand auf. »Ich lasse mich doch nicht zum Narren

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