Lockwood & Co. - Die Seufzende Wendeltreppe: Band 1 (German Edition)
dazu sagen. Die Erscheinung ist sehr verschwommen. Und sie bewegt sich nicht.«
Mr Jacobs tippte mit dem Zeigefinger auf seine Zigarette, die Asche fiel ins Gras. »Hat sie versucht, sich euch zu nähern, oder sonst wie reagiert?«
»Nein. Die anderen meinen, es handelt sich um einen schwachen TYP EINS , vielleicht das Nachflimmern eines Kindes, das früher mal hier gearbeitet hat.«
»Aha. Prima. Haltet die Erscheinung mit Eisen in Schach und seht euch weiter um.«
»Machen wir. Aber …«
»Was denn, Lucy?«
»Diese Gestalt hat etwas an sich … das mir nicht gefällt.«
Die Zigarette glühte rot auf, als Mr Jacobs einen tiefen Zug nahm. Seine Hand zitterte, sein Ton war gereizt. »Es gefällt dir nicht? Du hörst Kindergeplärr. Natürlich gefällt dir das nicht. Hörst du sonst noch was?«
»Nein, Sir.«
»Keine weitere Stimme? Von einem zweiten, stärkeren Besucher?«
»Nein …« Ich hatte tatsächlich nichts Bedrohliches gehört. Der Geist im Flur war klein und zart. Seine Stimme, seine Erscheinung … nur ein Hauch. Ein typischer Waberer. Ihn zu vertreiben, war für uns ein Klacks. Trotzdem traute ich der Sache nicht. Die Erscheinung war geradezu verdächtig mitleiderregend und harmlos.
»Was sagen die anderen denn?«, wollte mein Arbeitgeber wissen.
»Sie wollen kurzen Prozess mit der Erscheinung machen, damit wir das übrige Gebäude durchsuchen können. Aber ich habe so ein Gefühl … mir geht das irgendwie zu schnell.«
Ich hörte, wie Mr Jacobs auf dem Baumstumpf herumrutschte. Ein Windstoß fuhr durch die Bäume. »Wenn du willst, rufe ich die anderen zurück. Aber dann musst du mir vernünftig erklären, was du meinst. Von Gefühlen halte ich nichts.«
»Nein, das ist bestimmt nicht nötig. Aber … könnten Sie nicht mit reinkommen? Ihre Meinung wäre mir wichtig.«
Tiefes Schweigen. »Mach einfach deine Arbeit«, sagte Mr Jacobs dann.
Meine Kollegen waren so ungeduldig gewesen, dass sie meine Rückkehr nicht abgewartet hatten. Mit gezückten Degen und wurfbereiten Salzbomben schlichen sie den dunklen Flur entlang. Die Erscheinung spürte das näher kommende Eisen. Sie flackerte wie der Bildschirm eines kaputten Fernsehers, dann schwebte sie auf die Biegung des Flurs zu.
»Sie haut ab!«, rief jemand.
»Sie verblasst!«
»Bleibt dran! Nicht, dass sie uns entwischt!«
Wenn wir den Ort des Verschwindens nicht mitbekamen, würde es sehr schwierig werden, ihre Quelle aufzuspüren. Alle stürmten los.
Ich zog meinen Degen und lief hinterher. Die Erscheinung war schon so blass, dass sie kaum noch zu erkennen war. Plötzlich kamen mir meine Bedenken albern vor.
Klein wie ein Kind und immer noch kleiner werdend, bog der Geist um die Ecke und entschwand unseren Blicken. Meine Kollegen rannten hinterher und auch ich lief schneller. Aber ich hatte die Biegung noch nicht erreicht, als die Wand vor mir plötzlich in grellem Plasmalicht aufflammte. Eisen klirrte, gefolgt von einer einzelnen Magnesiumstichflamme. In ihrem Schein sah ich, wie sich ein riesenhafter, abscheulicher Schatten erhob. Das Licht erlosch.
Dann setzten die Schreie ein.
Ich drehte mich verzweifelt nach der offenen Eingangstür um. In der Dämmerung draußen sah ich den winzigen roten Punkt der Zigarette glimmen.
»Sir! Mr Jacobs!«
Keine Antwort.
»Hilfe! Kommen Sie schnell!«
Der rote Punkt wurde größer, als Jacobs wieder einen tiefen Zug nahm. Aber er gab mir keine Antwort und kam uns auch nicht zu Hilfe. Ein Sturmwind fegte heulend den Flur entlang und hätte mich beinahe umgerissen. Die Eingangstür schlug krachend zu, die ganze Mühle erbebte.
Ich stieß einen Fluch aus. Dann nahm ich eine Büchse vom Gürtel, zog meinen Degen und lief um die Ecke, dorthin, von wo die Schreie kamen.
* * *
Bei der amtlichen Untersuchung musste sich Mr Jacobs von den Angehörigen der Todesopfer schwere Vorwürfe anhören. Es hieß sogar, sie wollten ihn verklagen, aber dazu kam es dann doch nicht. Er rechtfertigte sich damit, dass er sich auf meine Meldung verlassen habe, es handele sich nur um einen schwachen Geist. Meine Hilferufe und die Schreie der anderen hatte er angeblich nicht gehört und auch sonst sei in der Mühle alles ruhig geblieben. Er sei völlig überrascht gewesen, als ich mich plötzlich durch die Fensterscheibe im oberen Stockwerk gestürzt hätte und dann über das Vordach heruntergerollt wäre.
In meiner Aussage berief ich mich auf mein Unbehagen beim ersten Anblick des Geistes, musste aber zugeben,
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