Lockwood & Co. - Die Seufzende Wendeltreppe: Band 1 (German Edition)
keiner etwas. Lockwood hatte die Hände zwischen den Knien gefaltet und saß vorgebeugt da wie ein Pfarrer auf dem Klo, ins Leere starrend, einen schmerzvoll-entspannten Ausdruck im Gesicht. George hatte immer noch die Nase in seinem Comic und benahm sich, als sei ich gar nicht da.
»Also gut«, sagte ich schließlich. »Ich geh dann mal.«
»Erklär ihr die Keksvorschrift«, sagte George.
Ich schaute ihn an. »Wie bitte?«
»Erklär’s ihr, Lockwood. Jetzt gleich. Sonst gibt’s hinterher bloß Ärger.«
Lockwood nickte. »Die Vorschrift lautet, dass jedes Mitglied der Agentur sich immer nur einen Keks auf einmal nimmt. Es geht streng reihum. Ohne Ausnahme. Auch dann nicht, wenn jemand gerade unter Stress steht.«
»Immer nur ein Keks auf einmal?«
»Richtig.«
»Soll das heißen, ich habe die Stelle?«
»Selbstverständlich haben Sie die Stelle.«
Kapitel 7
Das Haus Portland Row 35, für die Mitarbeiter von Lockwood & Co. zugleich Wohn- und Firmensitz, war ein ungewöhnliches Gebäude. Von der Straße aus wirkte es gedrungen und quadratisch, aber es thronte auf einer kleinen Anhöhe, sodass der hintere Teil die dahinter gelegenen ummauerten Gärten überragte. Das Dachgeschoss bot am wenigsten Platz, das Kellergeschoss war riesig. Eigentlich waren die oberen drei Stockwerke als Wohnbereich gedacht, während die untere Ebene die Geschäftsräume beherbergte, aber die Übergänge zwischen Wohnen und Arbeiten waren fließend. So bot etwa der Wohnbereich alle möglichen Geheimtüren jedweder Größe, die, wenn man sie aufschwingen ließ, Waffenständer enthielten oder auch Wurfscheiben, Klappbetten oder mit bunten Nadeln übersäte Pläne von London. Der Fechtkeller wiederum diente gleichzeitig als Waschküche, was zur Folge hatte, dass man seine Ausfälle und Finten unter Wäscheleinen mit nassen Socken übte, und wenn man im Lager die Salzbomben nachfüllte, rumpelte gleich daneben die Waschmaschine.
Das war alles ziemlich verwirrend, aber ich fühlte mich auf Anhieb wohl. Es war ein großes Haus, eingerichtet mit exklusiven Erwachsenendingen, nur dass dort keine Erwachsenen wohnten, sondern nur Anthony Lockwood und sein Kompagnon George. Und jetzt auch ich.
Am ersten Nachmittag veranstaltete Lockwood für mich eine Führung. Wir fingen oben an. Das Dachgeschoss war niedrig, die Wände schräg. Es gab nur zwei Räume: ein winziges Badezimmer, in dem sich Waschbecken, Dusche und Toilette drängten, und ein hübsches Schlafzimmer, in dem ein Bett, ein Schrank und eine Kommode Platz hatten. Gegenüber dem Bett blickte man durch ein Gaubenfenster auf die Portland Row hinaus. Man konnte bis zur Geisterlampe am anderen Ende der Straße sehen.
»Hier oben habe ich als Kind geschlafen«, sagte Lockwood. »Das Zimmer hat lange leer gestanden. Unser letzter Angestellter – möge er in Frieden ruhen – hat es seinerzeit vorgezogen, außerhalb zu wohnen. Wenn Sie wollen, können Sie hier einziehen.«
»Vielen Dank. Das nehme ich gern an.«
»Das Bad ist klein, aber dafür können Sie es allein benutzen. Unten gibt es noch ein größeres, aber da müssten Sie sich die Handtücher mit George teilen.«
»Oh, das hier genügt völlig.«
Wir stiegen die schmale Treppe wieder hinunter. Flur und Treppenabsatz im Stockwerk darunter waren mit schweren dunklen Möbeln eingerichtet und einem runden goldgelben Teppich auf dem Parkettboden. In einer Ecke stand ein Regal, vollgestopft mit einer wilden Mischung von Taschenbüchern: zerlesene Ausgaben der Jahrbücher von Fittes und der Parapsychologischen Theorien von Mottram, aber auch eine Auswahl billiger Romane, die meisten davon Thriller und Detektivromane, dazu jede Menge wissenschaftlicher Werke über Religion und Philosophie. Wie im Erdgeschoss zierten Artefakte aus aller Welt die Wände, unter anderem eine Rassel, die allem Anschein nach aus Menschenknochen gefertigt war.
Lockwood folgte meinem Blick. »Das ist eine polynesische Geisterrassel. Neunzehntes Jahrhundert. Das Klappern soll die Geister erschrecken und vertreiben.«
»Funktioniert es?«
»Keine Ahnung. Ich habe das Ding noch nie ausprobiert. Aber eigentlich keine schlechte Idee.« Lockwood deutete auf eine Tür. »Hier ist übrigens das andere Bad. Dort ist mein Zimmer und da drüben wohnt George. Klopfen Sie lieber vorher an, wenn Sie ihn besuchen wollen. Ich bin mal hereingeplatzt, als er splitternackt Yoga gemacht hat.«
Ich gab mir Mühe, das Bild, das vor meinem geistigen Auge entstand, sofort
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