Lockwood & Co. - Die Seufzende Wendeltreppe: Band 1 (German Edition)
wieder zu verdrängen. »Sind Sie in diesem Haus aufgewachsen?«
»Es hat mal meinen Eltern gehört. Jetzt ist es meins. Und solange Sie für uns arbeiten auch das Ihre.«
»Danke. Sind Ihre Eltern denn …«
»Jetzt zeige ich Ihnen die Küche«, unterbrach mich Lockwood. »Ich glaube, George macht gerade Abendessen.« Er ging zur Treppe.
»Und was für ein Raum ist das?«, fragte ich. Er hatte die Tür gleich neben seinem Zimmer ausgelassen. Sie sah aus wie alle anderen.
»Der ist privat«, sagte er lächelnd. »Ist aber sowieso nichts Spannendes drin. Kommen Sie! Wir haben noch längst nicht alles gesehen.«
Das Erdgeschoss, mit Wohnzimmer, Küche und Bibliothek, war eindeutig das Herz des Hauses und die Küche der allgemeine Treffpunkt. Dort stärkte sich das Team vor einem Einsatz mit Tee und Broten und nahm am Morgen danach ein üppiges Frühstück ein. Man sah der Küche an, dass sie nicht nur Aufenthalts-, sondern auch Arbeitsraum war. Zwischen den üblichen Sachen, die in jeder Küche herumstehen und -liegen, wie Keksdosen, Obstschalen und Chipstüten, entdeckte ich Tüten mit Salz und Eisenspänen, schon abgewogen und gebrauchsfertig. In der Ecke hinter den Abfalleimern lehnten Degen, in einem Eimer weichten plasmabespritzte Arbeitsschuhe ein. Am auffallendsten aber war der Küchentisch mit seinem großen weißen Tischtuch. Es war mit Notizen und Diagrammen vollgekritzelt, dazu mit Skizzen verschiedener Geisteruntertypen: Albe, Streuner und Schemen.
»Das ist unser Weises Tuch«, kommentierte Lockwood. »Mit seiner Hilfe ist es mir gelungen, die Gebeine des Ghuls aus der Fenchurch Street ausfindig zu machen. Ich habe eine Straßenkarte auf das Tuch gezeichnet und den Fall um vier Uhr morgens bei Tee und Käsetoast gelöst. Dieses Tischtuch gehört zu unseren wichtigsten Arbeitsmitteln. Wir notieren darauf unsere Einfälle, Theorien und Gedankengänge.«
»Wir benutzen es auch, um einander wüste Beschimpfungen zukommen zu lassen, wenn ein Auftrag in die Hose gegangen ist und wir nicht mehr miteinander reden«, warf George über die Schulter ein. Er stand am Herd und rührte den Eintopf um, den es zum Abendessen geben sollte.
»Äh … kommt das öfter vor?«, fragte ich.
»Ach was«, sagte Lockwood. »Nur ganz, ganz selten.«
George starrte in den Eintopf und sagte knapp: »Wart’s ab.«
Lockwood klatschte in die Hände. »Habe ich Ihnen schon das Büro gezeigt? Sie erraten nie, wo der Eingang ist. Gleich da drüben!«
* * *
Wie sich herausstellte, erreichte man das Kellerbüro von Lockwood & Co. direkt durch die Küche. Man ging durch eine Tür, die keine klassische »Geheimtür« war, denn sie hatte eine gut sichtbare Klinke, aber ich hätte dahinter eher einen Wandschrank vermutet. Die Tür sah genauso aus wie die der Küchenmöbel. Aber wenn man sie öffnete, ging ein Licht an, in dessen funzligem Schein man eine steile Eisenwendeltreppe erblickte.
Die Treppe führte abwärts bis zu mehreren türlosen, unverputzten Räumen, die nur durch Bögen, Säulen und hier und da eine eingezogene Zwischenwand voneinander getrennt waren. Ein großes Fenster, das auf den verwilderten Hof vor dem Haus ging, ließ Tageslicht herein. An den Seitenwänden gab es oben ein paar Lichtschächte. Der größte Raum war mit drei Schreibtischen, einem Aktenschrank, zwei zerschlissenen grünen Sesseln und einem klapprigen Bücherregal mit Lockwoods Agenturunterlagen eingerichtet. Auf dem Schreibtisch in der Mitte prangte ein großes schwarzes Buch.
»Unser Auftragsbuch«, erläuterte Lockwood. »Wir dokumentieren darin jeden Einsatz. George führt das Buch, recherchiert die Fälle und notiert auch Querverweise zu anderen Einsätzen.« Seufzend fuhr er fort: »Das gehört zu seinen Lieblingsbeschäftigungen. Ich persönlich nehme jeden Fall, wie er gerade kommt.«
Ich betrachtete die Aktenschachteln im Regal. Die Rü cken waren säuberlich mit Sorte und Unterart beschriftet: TYP EINS – Schemen, TYP EINS – Lauerer, TYP ZWEI – Poltergeister, TYP ZWEI – Phantasmen, und so weiter. Auf dem letzten, sehr schmalen Ordner stand: TYP DREI .
»Hatten Sie es schon mal mit einem TYP DREI zu tun?«, fragte ich.
»Glaub nicht«, erwiderte Lockwood achselzuckend. »Ich bin sowieso nicht sicher, ob es TYP DREI überhaupt gibt.«
Ein Durchgang führte in einen Nebenraum. Er war leer, abgesehen von einem Degenständer, einem Behälter mit Kreide und zwei Strohpuppen, die an Eisenketten von einem Deckenbalken hingen. Die
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