Lockwood & Co. - Die Seufzende Wendeltreppe: Band 1 (German Edition)
aber wir mögen ihn trotzdem.«
»Vielen Dank auch!«, brummte George. »Ich dachte immer, meine Augen sind das Schönste an mir.«
»Sind sie auch. Das ist ja das Traurige. Jetzt komm schon, Lucy! Ich bin auch sauer auf Barnes. Es war nicht in Ordnung, dass er dich zu etwas gezwungen hat, was du nicht wolltest. Das ist wieder mal typisch BEBÜP . Die glauben, alle müssten nach ihrer Pfeife tanzen. Aber das stimmt nicht – zumindest gilt es nicht für uns!« Lockwood deutete mit ausholender Gebärde auf die nebelverhangene stille Straße. »Seht euch doch mal um! Es ist nach Mitternacht und wir sind ganz allein hier draußen. Alle anderen haben die Türen verriegelt, ihre Amulette vor die Fenster gehängt und sich schlafen gelegt. Alle haben Angst – außer dir, mir und George. Wir gehen, wohin wir wollen, und sind niemandem Rechenschaft schuldig – weder Barnes noch der BEBÜP noch sonst jemandem. Wir sind frei!«
Ich zog meine Jacke enger um mich. Wie üblich klang das, was Lockwood sagte, einleuchtend. Auch ich genoss es, wieder im Freien zu sein und mit meiner Waffe und meinen Kollegen durch die Nacht zu streifen. Meine Beunruhigung über den Vorfall bei Scotland Yard legte sich allmählich.
»Wahrscheinlich hast du recht«, lenkte ich ein. »Glaubst du wirklich, dass sie Blake dabehalten?«
»Ganz bestimmt.«
»Übrigens, Lucy«, sagte George, »mir fällt grade etwas ein, was dich aufheitern wird. Als wir auf dich gewartet haben, haben wir Quill Kipps gesehen. Er gehört zu dem Team von Fittes, das heute Nacht für die BEBÜP unterwegs ist. Fittes steht bei der BEBÜP unter Vertrag. Kipps war heute in der Kanalisation eingesetzt, und sein Team hatte dort … sagen wir mal, eine intensive Begegnung mit etwas sehr, sehr Hässlichem. Und damit meine ich keinen Besucher! Du hättest sie mal sehen sollen. Von oben bis unten klatschnass.«
Ich musste lachen. »Immerhin hat Kipps noch Arbeit. Unser Auftragsbuch ist ab heute leer.«
»Lieber arm sein, als zum Himmel stinken«, sagte George.
Lockwood drückte meinen Arm. »Na komm schon. Mach dir keine Sorgen. Irgendwas wird sich schon ergeben. Und jetzt lass uns heimgehen. Ich hab Lust auf ein Erdnussbutter-Sandwich.«
Ich nickte. »Für mich bitte Kakao und Chips.«
Wir gingen weiter. Der Nebel wurde immer dichter und schlängelte sich zwischen den Eisenzäune der Vorgärten, wand sich um die Geisterlampen und dämpfte ihr in regelmäßigen Abständen aufflammendes Licht. Unsere Schritte hallten laut auf dem leeren Bürgersteig und erzeugten auf der gegenüberliegenden Straßenseite ein Echo, das sich anhörte, als ginge ein unsichtbares Trio neben uns her.
Die Geisterlampe in der Portland Row war kaputt. Am unteren Rand des Glasaufsatzes sprühten blaue Funken und anstatt des üblichen strahlenden Lichts glomm es hinter den Linsen giftig rot. In den Fenstern der Nachbarhäuser brannte nur hier und da noch Licht und alle Vorhänge waren zugezogen. Als wir uns der Nummer 35 näherten, schloss sich der Nebel immer dichter um uns.
Lockwood war vorausmarschiert. Aber am Tor zum Vorgarten blieb er so unvermittelt stehen, dass George und ich prompt gegen ihn prallten.
»George«, sagte Lockwood leise, »du warst doch als Letzter mit Annie Wards Kette zugange. Was hast du mit ihr gemacht?«
»Ich hab sie zu den anderen Trophäen ins Regal gestellt. Wieso?«
»War das Glas fest verschlossen? Oder war der Deckel vielleicht locker?«
»Natürlich nicht. Was –«
»Weil ich unten im Büro Licht gesehen habe.«
Er zeigte über das Geländer nach unten. Der Hof lag im Dunkeln, nur die Straßenlaterne vor Nummer 37 zerschnitt ihn diagonal mit einem orangefarbenen Lichtstrahl, der auch das fragliche Fenster streifte. Tagsüber konnte man von draußen meinen Arbeitsplatz sehen: meine Stuhllehne und die Blumenvase auf dem Tisch. Jetzt war dort nur eine schwarze Fläche, wie ein auf die Mauer gepinseltes Rechteck.
»Ich seh überhaupt nichts«, flüsterte George.
»Es war nur ein Augenblick. Ich dachte, es könnte eine Spur Anderlicht gewesen sein, aber vielleicht … Da ist es wieder!«
Diesmal sahen wir es alle drei – ein schwaches Leuchten, das sich von innen in der Fensterscheibe spiegelte. Wir standen wie erstarrt.
»Das war eine Taschenlampe«, sagte George leise.
Es überlief mich kalt. »Jemand ist in unser Haus eingebrochen!«
»Jemand, der sich nachts nach draußen traut«, sagte Lockwood. »Das heißt, sie sind bewaffnet. Sie haben mindestens
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