Lockwood & Co. - Die Seufzende Wendeltreppe: Band 1 (German Edition)
nicht reinlassen. Mr Fairfax möchte Sie persönlich herumführen.«
»Es ist ein wenig dringend.«
»Dann verkneifen Sie sich’s.«
»Sie könnten mir einfach den Weg zeigen.«
»Ausgeschlossen!«
»Dann muss ich leider mal kurz hinter einer dieser Urnen verschwinden. Merkt ja keiner.«
»Die Stufen hoch, durch die Eingangshalle, die kleine Tür links neben der Treppe«, sagte Starkins widerstrebend.
»Herzlichen Dank. Bin gleich wieder da!« Lockwood flitzte los.
»Wenn er sich jetzt schon fast in die Hose macht, wie will er dann heute Nacht klarkommen, wenn die Dunkelheit über die Lange Galerie hereinbricht?«, brummte der Alte.
»Äh … keine Ahnung.« Auch ich fand Lockwoods Verhalten befremdlich.
»Wir fangen schon mal ohne ihn an«, sagte Starkins. Er deutete auf den Westflügel. »Diese Mauern sind der älteste Teil von Combe Carey. Es sind die Außenmauern des ursprünglichen Klosters – hier sieht man noch eins der Kapellenfenster –, das von der ketzerischen Bruderschaft vom Heiligen Johannes erbaut wurde. Üble Burschen waren das! Es heißt, sie hätten sich von Gott abgekehrt, um …«
»… den dunklen Künsten zu frönen «, ergänzte ich den Satz. Starkins warf mir einen scheelen Blick zu. »Wer macht hier die Führung, Sie oder ich? Aber Sie haben ganz recht. Hier wurden die schändlichsten Rituale und Opferungen abgehalten … Man mag gar nicht daran denken. Aber es sprach sich rum und zum Schluss haben sich die Herzöge das Kloster geschnappt. Die sieben schlimmsten Übeltäter wurden in einem Brunnen ersäuft, die übrigen mitsamt dem Kloster angezündet. Ja, sie alle starben unter schrecklichem Gekreisch hinter diesen Mauern. Ich habe Ihnen übrigens die Gästezimmer im ersten Stock hergerichtet. Jedes Zimmer hat ein eigenes, modern ausgestattetes Bad.«
»Vielen Dank.«
»Gibt es den Brunnen noch?«, wollte George wissen.
»Nein. Als ich ein Kind war, konnte man hier im Hof noch den unbenutzten Brunnen sehen, aber er wurde schon vor Jahren mit Sand zugeschüttet und mit einem Eisendeckel verplombt.«
George und ich betrachteten das Gebäude eine Weile. Ich versuchte herauszufinden, welches das Fenster war, hinter dem die eindeutig übernatürliche Erscheinung auf Mr Fairfax’ Foto gestanden hatte.
Im ersten und zweiten Stock entdeckte ich mehrere Fenster, die infrage kamen.
»Glauben Sie, dass es die toten Mönche sind, die das Haus heimsuchen?«, fragte ich. »Es hört sich ja fast so an.«
»Das zu beurteilen, ist nicht meine Aufgabe«, antwortete Bert Starkins. »Es könnten die Mönche sein, oder aber Sir Rufus Carey der Wahnsinnige, der 1328 das erste Wohnhaus auf den Ruinen des Klosters errichtet hat. Da ist ja Ihr Freund mit der schwachen Blase wieder. Wird aber auch Zeit.«
Lockwood kam auf uns zugetänzelt. »Noch mal Entschuldigung«, sagte er. »Habe ich schon was verpasst?«
»Mr Starkins hat uns gerade von Rufus dem Wahnsinnigen erzählt.«
»Er trug auch den Beinamen der Rote Herzog , weil er feuerrotes Haar hatte und zudem viel Blut an seinen Händen klebte«, erzählte der Alte weiter. »Er soll sich im Haus eine eigene Folterkammer eingerichtet haben, wo er seine Feinde hinbrachte und …« Er unterbrach sich. »Aber das ist nichts für die zarten Ohren einer Dame.«
»Nur keine Hemmungen«, sagte George. »Sehen Sie sich Lucy doch an. Die ist so was von kaltschnäuzig … die haut nichts mehr um.«
»Ich habe tatsächlich schon einiges erlebt«, erwiderte ich zuckersüß.
Starkins brummelte: »Sagen wir mal so: Sir Rufus hat sich dort des Nachts gern mit seinen Feinden … vergnügt. Wenn sie dann ihr Leben ausgehaucht hatten, hat er ihre Schädel auf den Stufen der großen Treppe aufgereiht und Kerzen reingestellt, die dann aus den Augenhöhlen schienen.«
Der Verwalter verdrehte schaudernd die alterstrüben Augen. »So ging das jahrelang – bis sich in einer stürmischen Nacht eines der Opfer befreien konnte und Sir Rufus mit einer verrosteten Handschelle die Kehle aufschlitzte. Seither hört man die Seelen der Gefolterten heulen, jedes Mal, wenn der Geist des Roten Herzogs die Flure heimsucht. Es heißt, es klingt, als kreische die Treppe selbst.«
Wir wechselten einen vielsagenden Blick. »Hat die Seufzende Treppe daher ihren Namen?«, fragte Lockwood dann.
Der Verwalter zuckte die Achseln. »Kann schon sein.«
»Haben Sie das Geschrei denn auch schon mal gehört?«, fragte ich.
»Bloß nicht! Ich geh doch nicht nachts durchs
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