Lockwood & Co. - Die Seufzende Wendeltreppe: Band 1 (German Edition)
Haus!«
»Oder kennen Sie jemanden, der es gehört hat? Vielleicht einer Ihrer Freunde?«
»Freunde?«, wiederholte Starkins, als hätte er das Wort noch nie gehört. »Freunde zu haben, ist nicht meine Aufgabe. Ich bin Verwalter. Lassen Sie uns weitergehen.«
Er wanderte mit uns einmal um das ganze Gebäude herum, wies uns auf architektonische Besonderheiten hin und gab uns einen kurzen Abriss über die vorigen Bewohner. Uns wurde bald klar, dass für ihn jeder Stein und jeder Strauch mit irgendeiner Schauergeschichte verknüpft war. Die Mönche und Sir Rufus waren nur der Anfang gewesen. Demnach waren so gut wie alle Vorbesitzer des Herrenhauses entweder irre, mies oder eine fiese Kombination von beidem gewesen. Während sie sich so durchs Leben meuchelten und folterten, waren Unzählige zu Tode gekommen.
Schon eine einzige dieser Geschichten hätte genügt, um den schlechten Ruf des Hauses zu erklären – die schiere Anzahl jedoch ließ den Zuhörer abstumpfen und am Wahrheitsgehalt des Erzählten zweifeln.
Lockwood hatte Mühe, ein skeptisches Grinsen zu unterdrücken, und George trottete gähnend und Grimassen schneidend hinterher. Ich selbst gab es bald auf, mir all die Namen und Ereignisse einzuprägen, und betrachtete lieber wieder das Haus. Mir fiel auf, dass es abgesehen vom Haupteingang keine anderen ebenerdigen Zugänge zu geben schien, abgesehen von dem modernisierten Ostflügel, den Mr Fairfax nutzte. Sein Rolls-Royce parkte vor diesem Seiteneingang. Der Chauffeur war trotz der Kälte in Hemdsärmeln und polierte die Kühlerhaube.
Hinter dem Ostflügel erstreckte sich der triste nierenförmige See. Außerdem gab es hier noch einen Rosengarten und einen runden Turm mit abgebröckelten Zinnen.
»Den hat seinerzeit Sir Lionel errichten lassen«, verkündete Bert Starkins.
»Sehr originell«, sagte Lockwood.
»Gleich kommt’s!«, zischelte George mir zu.
»Von der Spitze dieses Turms hat sich im Jahre 1863 Lady Caroline Throckmorton in den Tod gestürzt«, hob der Verwalter an. »Es war ein lieblicher Sommerabend. Sie stand mit wehenden Gewändern auf der Brustwehr, ihre schlanke Gestalt zeichnete sich vor dem blutroten Sonnenuntergang ab. Die Dienerschaft gab sich die größte Mühe, sie mit der Aussicht auf Tee und Mohnkuchen wieder hereinzulocken. Vergebens. Es heißt, sie trat so leichtfüßig ins Leere, als wollte sie aus einem Omnibus aussteigen.«
»Dann ist sie doch wenigstens gelassen in den Tod gegangen«, sagte ich.
»Glauben Sie? Im Fallen hat sie die ganze Zeit geschrien und mit den Armen gerudert.«
Eine Pause trat ein. Ein Windstoß kräuselte das kalte Wasser des Sees. George räusperte sich. »Ähem … aber die Rosen sind sehr hübsch.«
»Ja … das Beet wurde angelegt, wo sie aufschlug.«
»Und ein schöner See …«
»Darin ist Sir John Carey ertrunken. Bei einem nächtlichen Bad. Er schwamm bis in die Mitte und ging dann wie ein Stein unter, heruntergezogen von der Schwere seiner Übeltaten.«
Lockwood zeigte rasch auf ein kleines, von Büschen umstandenes Häuschen. »Und hier …?«
»Seine Leiche wurde nie gefunden.«
»Wie schrecklich. Ich meinte eigentlich, was es mit diesem Haus …«
»Er liegt immer noch dort unten im Schlamm, zwischen Steinen und vermodertem Laub … Verzeihung, was sagten Sie eben?«
»Das kleine Haus. Gibt es dazu auch eine schröckliche Geschichte?«
Der Alte sog nachdenklich die Wangen ein. »Nicht, dass ich wüsste«, sagte er dann.
»Gar keine?«
»Nö.«
»Sicher nicht? Kein ruchloser Eifersuchtsmord, keine grausige Selbsttötung? Nicht mal ein kleiner Dolchstich ins Herz oder so?«
Der Verwalter sah Lockwood misstrauisch an. »Wollen Sie mich etwa auf den Arm nehmen, junger Herr?«
»Das würde mir im Traum nicht einfallen.«
»Ich hab das Gefühl, dass Sie mir meine Geschichten nicht glauben.« Starkins drehte mühsam den Kopf und richtete die wässrigen Augen auf George und mich. »Und Sie beide auch nicht.«
»O doch!«, beeilte ich mich zu versichern. »Wir glauben Ihnen jedes Wort. Stimmt doch, George, oder?«
»Fast jedes.«
Bert Starkins’ Miene verfinsterte sich. »Sie werden sich bald selbst davon überzeugen können, ob ich die Wahrheit gesagt habe. Jedenfalls gibt es in diesem kleinen Haus keine Geister, weil ich dort wohne. Ich weiß Bescheid, wie man sich lästige Besucher vom Hals hält.« Auch aus der Entfernung sah man die Eisenstäbe über die Dachrinne ragen.
Der Alte würdigte uns keines weiteren
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